Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
wollte. »Ja, Sir?«
Sein Lächeln war warmherzig und nett, sein grauer Bart kräuselte sich um seine schmalen Lippen. Er schob die Brille
hoch. »Der Test letzte Woche ist wohl nicht so gut gelaufen? «
Ich wappnete mich. »Nein, Sir.«
Er blickte zu mir auf. »Letztes Jahr in meinem Politikkurs haben Sie anfangs sehr gut mitgearbeitet, aber in den letzten Monaten des Schuljahrs wurden Ihre Noten schlechter. Nach den Sommerferien sind sie noch weiter in den Keller gegangen. Ich möchte, dass Sie wieder besser werden, Ellie.«
»Ich weiß, Mr Meyer«, erwiderte ich zerknirscht. Tausend Entschuldigungen kamen mir in den Sinn. Ich war abgelenkt. Abgelenkt durch die College-Bewerbungen, die ständigen Streitereien meiner Eltern, die Albträume, die mich Nacht für Nacht quälten. Natürlich wollte ich mit meinem Wirtschaftskundelehrer nicht über meine Probleme reden. Sie gingen ihn nichts an. Also entschied ich mich für eine vage Antwort. »Es tut mir leid. Ich war abgelenkt. Im letzten Jahr war so viel los.«
Er stützte die Ellbogen auf seinen vollgepackten Tisch und beugte sich vor. »Ich weiß, es steht eine Menge an in der Abschlussklasse. College, Freunde, Homecoming, Jungs … Es gibt so vieles, das Sie beschäftigt. Aber Sie müssen sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.«
»Ich weiß«, sagte ich schuldbewusst. »Danke.«
»Und ich spreche nicht nur von der Schule«, fuhr er fort. »Das Leben hält Prüfungen für Sie bereit, von denen Sie noch nichts ahnen. Lassen Sie nicht zu, dass die künftigen Herausforderungen das Gute, das Sie in sich tragen, verändern oder Sie vergessen lassen, wer Sie sind. Sie sind ein nettes Mädchen, Ellie. Ich hatte Sie immer gern in meinen Kursen.«
»Danke, Mr Meyer«, sagte ich mit aufrichtigem Lächeln.
Er lehnte sich zurück. »Dieser Kurs ist nicht besonders schwierig. Ich bin mir ganz sicher, wenn Sie sich ein bisschen mehr Mühe geben, werden Sie ihn bestimmt schaffen. Mein Kurs ist nichts im Vergleich zu dem, was da draußen in der realen Welt vor sich geht. Ich weiß, dass Sie das hinkriegen.«
Ich nickte, obwohl er diese kleine Ansprache sicher für jeden parat hatte, der bei einem Test mit zwanzig Fragen ein »Ausreichend« bekommen hatte, aber seine Worte klangen so
ehrlich, dass ich sie ihm abkaufen wollte. »Danke, dass Sie an mich glauben.«
»Ich sage das nicht zu jedem, dessen Noten schlechter werden«, erwiderte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich meine es ernst. Ich glaube an Sie. Aber Sie müssen auch an sich selbst glauben, versprochen?«
Mein Lächeln wurde breiter. »Danke. Bis morgen.«
»Ich werde hier sein«, sagte er und erhob sich mühevoll von seinem Stuhl. Seit dem ersten Schultag nach den Ferien benutzte er einen Stock. »Sie haben bald Geburtstag, stimmt’s?«
Ich sah ihn erstaunt an. »Ja, woher wissen Sie das? Soll ich selbstgebackene Muffins für alle mitbringen, oder so?«
Er lachte. »Nein, nein. Es sei denn, Sie möchten es gern. Ich hätte nichts dagegen. Alles Gute zum Geburtstag, Ms Monroe.«
»Danke, Sir.« Ich winkte ihm lächelnd zu. Als ich das Klassenzimmer verließ, ging mir durch den Kopf, dass diese Ansprache ziemlich ernst gewesen war, für einen Wirtschaftskundelehrer, der sich auf seinen baldigen Ruhestand in Arizona freute.
Ich traf Kate bei ihrem Schließfach. Sie musterte mich stirnrunzelnd, als ich näher kam.
»Was hat Meyer denn gewollt?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich soll mir mehr Mühe geben.«
Sie lächelte. »Also ich finde, du bist perfekt.«
»Danke«, sagte ich lachend. »Kommst du direkt mit zu mir? Dann können wir für den Mathe-Test am Donnerstag üben.«
Sie schüttelte den Kopf, strich ihr blondes Haar zurück und zog ihren Rucksack aus dem Schließfach. »Ich will vorher noch ins Sonnenstudio.«
»Warum das denn? Es ist September, und du siehst jetzt schon aus, als würdest du den ganzen Tag am Strand liegen.« Ich stupste gegen ihre Schulter und grinste. Ihre Haut hatte einen wunderschönen goldbraunen Farbton, aber ich ärgerte sie gern damit, dass sie bald so aussehen würde wie all die anderen Barbie-Püppchen der Schule, wenn sie so weitermachte.
»Ich will diesen Winter auf keinen Fall so käseweiß werden wie du!« Kate war sehr hübsch, und selbst wenn sie ein finsteres
Gesicht machte, sah sie fantastisch aus. Sie war fast einen Kopf größer als ich, aber das war kein Kunststück. Ich war ein gutes Stück kleiner als die meisten anderen Mädchen
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