Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
alle meine Leben kenne, ganz egal, wie schlimm sie waren.
Doch ich winke rasch ab. Alles, was ich bisher ausprobiert habe, ist fehlgeschlagen, also lasse ich gern ihn die Führung übernehmen.
Gelassen sehe ich ihm in die Augen und kann es nicht verhindern, dass mir das Blut in die Wangen steigt. »Wie wär’s mit London?«, frage ich verlegen. Es ist mir einfach so rausgerutscht. Auch wenn ich damals noch so oberflächlich und leichtsinnig war, mag ich das Leben einfach ziemlich gern, das ich als die schöne, verwöhnte Tochter eines britischen Landadeligen geführt habe – wahrscheinlich weil ich damals so unbeschwert war, so frei von jeder Last. Mein verfrühtes Ableben durch Drinas Hand war der einzige dunkle Fleck am Horizont.
Damen blinzelt und hält die Finger dicht über den Tasten. »Bist du sicher? London? Nicht Amsterdam?« Dabei
sieht er mich mit seinem unwiderstehlichen Hündchenblick an.
Meine Lippen zucken unwillkürlich, da ich genau weiß, warum Damen immer wieder nach Amsterdam zurückkehren will. Obwohl er behauptet, dass es deshalb ist, weil er da malen kann – die Kunst ist gleich nach mir seine zweite Liebe –, weiß ich es besser. Er will es nämlich deshalb, weil ich ihm dann als halb nackte, überaus kokette und völlig schamlose Muse mit tizianroten Haaren Modell stehe.
Ich nicke zustimmend und denke mir, dass ich ihm das schuldig bin, nachdem ich ihn in den Großen Hallen des Wissens stundenlang zu Tode gelangweilt habe. Daher ist es nur eine Frage von Sekunden, bis der Bildschirm vor uns aufleuchtet und er meine Hand nimmt und mich von der Couch weg- und darauf zulotst.
Doch genau wie sonst bleibe ich direkt davor abrupt stehen. Von meinem Blickwinkel aus wirkt der Bildschirm wie eine harte, bösartige Platte von der Art, die einem liebend gern eine schwere Gehirnerschütterung verpassen würde, falls man so dämlich ist, auch nur den Versuch zu machen, mit ihr zu verschmelzen. Jedenfalls sendet sie keinerlei Anzeichen dafür aus, dass sie nachgiebig genug sein könnte, um hineinzuschlüpfen.
Und genau wie immer sieht Damen mich an und sagt: » Glaube .«
Also tue ich es. Ich hole tief Luft und schließe die Augen, als würde ich gleich in ein tiefes Becken springen, ehe ich mich dagegenpresse und immer weiter drücke, bis wir sicher auf der anderen Seite stehen und eins mit der Szenerie geworden sind.
Als Erstes vergrabe ich die Hände tief in meinem Haar. Ich fahre mit den Fingern durch die langen Strähnen und
lächele darüber, wie seidenweich sie sich anfühlen. Ich liebe diese Haare, auch wenn ich weiß, dass es eitel ist, aber ich kann nichts dagegen tun. Ihre Farbe ist von einem umwerfend leuchtenden Rot, wie ein knalliger Sonnenuntergang, durchzogen von einer Spur Gold. Und als ich auf mein Kleid herunterblicke oder vielmehr auf den kaum vorhandenen Hauch aus fleischfarbener Seide, der um mich herum drapiert ist, notdürftig zusammengehalten von einem lockeren Knoten im Nacken, bin ich immer wieder erstaunt über das Maß an Selbstsicherheit, das man braucht, um so etwas zu tragen. Wenn ich hier bin, gekleidet wie sie, bin ich kein bisschen schüchtern.
Doch hier bin ich auch nicht mehr die siebzehnjährige Ever, sondern die neunzehnjährige Fleur – ein bildhübsches holländisches Mädchen, das weder an seiner Schönheit noch an sich selbst zweifelt.
Und Fleur zweifelt auch nicht an der unendlichen Liebe in den Augen des gut aussehenden dunkelhaarigen Künstlers, der an seiner Leinwand steht und sie malt.
Ich schreite durch das Tulpenfeld, anmutig und geschmeidig, und erfreue mich an den seidenweichen Blüten und Blättern, die mich streifen, ehe ich genau an der richtigen Stelle stehen bleibe und mich zu ihm umdrehe, genau in der Pose, um die er mich gebeten hat.
Ich lasse den Blick über die Blumen schweifen, bis hin zu dem leicht bewölkten Himmel, tue so, als wäre ich beschäftigt, völlig eingenommen von der Schönheit der Natur um mich herum, obwohl ich doch nur auf den unvermeidlichen Moment warte, in dem er das Malen sein lassen und sich um mich kümmern wird.
Kurz sehe ich ihn an, mit nur einer Ahnung von Lächeln, als ich sehe, wie sein Pinsel bebt – ein sicheres Zeichen dafür,
dass es nur noch eine Frage von Sekunden ist, bis er das Vergnügen, mich auf Leinwand zu verewigen, gegen jenes eintauscht, mich in seinen Armen zu halten. Ich sehe den Hunger, das verzehrende Feuer des Verlangens in seinen Augen lodern.
Und es dauert auch nicht lange,
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