Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
auch noch seinen Kleiderschrank geplündert hat.
»Du hast Recht«, sagt sie völlig ungerührt, und allein das ist schon ein ziemlich klarer Beweis dafür, dass sie Fortschritte
gemacht hat. »Aber ich hab eigentlich gemeint, du wärst in positiver Hinsicht erstaunt. Ich arbeite nicht mehr gegen dich, Ever. Im Ernst. Mir ist schon klar, dass du mir das nicht glaubst, aber ich habe mich wirklich verändert. Meine ganze Sichtweise hat sich gewandelt. Und nur damit du’s weißt, ich habe Jude wirklich gern. Ich werde ihn nicht so verletzen wie du.«
Ich sehe sie an und warte darauf, dass sie weiterspricht, denn bestimmt hat sie doch eigentlich gemeint: »Ich werde ihn nicht so verletzen, wie du glaubst«, und wird sich sogleich korrigieren.
Aber nein, sie belässt es dabei. Offenbar hat sie gesagt, was sie gemeint hat, und ich kann nicht einmal behaupten, dass es nicht wahr sei.
»Und Stacia?«, frage ich, da ich in diesem Fall lieber das Thema wechsele und zu etwas genauso Schlimmem, wenn nicht Schlimmerem übergehe. »Hat sie diese Veränderung auch vollzogen?« Ich weiß aus erster Hand, wie egoistisch und ahnungslos sie ist, da ich noch gut in Erinnerung habe, wie mühsam es war, sie auch nur dazu zu überreden, sich für die schlimmsten Dinge zu entschuldigen, die sie angerichtet hatte. Aber hey, es soll ja Wunder geben, und es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern und etwas Besseres anzustreben – zumindest hab ich das gehört.
Obwohl Honor in Bezug auf ihre Freundin ziemlich realistisch ist, lacht sie nur kurz auf. »Was soll ich dazu sagen? Stacia ist eher eine ewige Baustelle. Aber glaub mir, sie ist nicht mal mehr annähernd so schlimm, wie sie mal war, und das will doch was heißen, stimmt’s? Jedenfalls, wenn Jude mich mag und Ava mir vertraut, dann könntest du doch vielleicht auch versuchen … na ja, mich wenigstens zu tolerieren, und dann sehen wir mal weiter.«
»Und in Bezug worauf vertraut dir Ava?«, frage ich. »Abgesehen davon, im Laden auszuhelfen, meine ich?«
Honor steht auf, ihre Aufmerksamkeit vorübergehend von der hart anschlagenden Türglocke gebannt, die einen neuen Kunden ankündigt. »Zum einen hat sie mich beauftragt, ein paar seltene Kräuter für Damen aufzutreiben«, erklärt sie. »Hat irgendwas mit einem Gegengift zu tun, das er zubereiten will.« Sie zieht eine Braue hoch und nickt der Kundin zu, die sich im Laden umsieht, ehe sie sich wieder mir zuwendet. »Und zufälligerweise sind die gerade vor einer Stunde angekommen. Hab sie direkt hier.« Sie fasst unter den Tresen, schnappt sich ein winziges, neutral eingepacktes Päckchen und knallt es vor sich auf die Tischplatte. »Ich wollte ihn eigentlich anrufen, dass er es abholen soll, aber jetzt, da du da bist, könntest du es ihm ja vielleicht vorbeibringen. Ich schätze, es ist eine Weile her, seit du ihn zuletzt gesehen hast, oder?«
Ich starre auf das Päckchen. Mein Herz hämmert, und es schnürt mir die Kehle zusammen, während ich ihren Blick auf mir lasten spüre.
»Was für einen Tag haben wir heute?«, frage ich.
Sie sieht mich befremdet an. »Sonntag, warum?«
»Sonntag …«
»Sonntag, den vierundzwanzigsten Mai.« Sie huscht um den Tresen herum und geht auf die neue Kundin zu, während ich mir das Päckchen schnappe, es tief in die vordere Hosentasche schiebe und den Laden verlasse.
FÜNFUNDDREISSIG
I ch fahre nicht zu Damen.
Ich habe es natürlich auf jeden Fall vor, doch zuerst muss ich etwas anderes erledigen. Und so manifestiere ich mir ein Auto und fahre zu Jude. Ich will ihn noch erwischen, ehe er zum Laden aufbricht, und stoße fast mit ihm zusammen, als er mit dem Jeep aus seiner Einfahrt rollt, während ich gerade hineinfahren will.
»Ever?« Er sieht mich im Seitenspiegel an, tritt ruckartig auf die Bremse und springt heraus.
Ich starre ihn an. Ich kann nicht anders. Er sieht so völlig anders aus, als ich ihn in Erinnerung habe.
Sein Kopf ist kahl rasiert.
Und ohne sein Markenzeichen, die langen goldbronzenen Dreadlocks, erkenne ich ihn kaum – zumindest nicht, ehe sein Blick meinen findet. Die leuchtend blaugrünen Augen sind mir nur allzu vertraut, ganz zu schweigen von der Welle kühler, gelassener Energie, die mich überspült und umhüllt, genau wie sie es die ganzen vergangenen Jahrhunderte getan hat.
Er fährt sich verlegen mit der Hand über seinen kahlen Schädel und sagt: »Ich dachte, es sei Zeit für eine Veränderung, aber deinem Blick nach zu urteilen, sollte ich
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