Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
immer noch ich. Honor ist überhaupt nicht im Spiel. Und ich weiß nicht genau, was mir mehr zusetzt - diese Erkenntnis oder das jähe Aufwallen der Erleichterung, das sie mit sich bringt.
»Ever …«
Er sieht mich auf eine Art und Weise an, bei der mir der Atem stockt. Ein solcher Widerstreit der Gefühle malt sich auf seinen Zügen, es ist eindeutig, dass er sich mit dem, was als Nächstes kommt, sehr schwer tut. Doch am Ende blinzelt er nur und atmet tief durch, ehe er fragt: »Kommst du klar? Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?«
Ich nicke, steige in meinen Wagen und fühle mich zuversichtlicher und kraftvoller als jemals zu vor. Die Finsternis ist verschwunden, ist vom Licht besiegt worden, und das hier kann auf gar keinen Fall fehlschlagen.
Ich schließe die Augen und lasse den Motor zum Leben erwachen, dann sehe ich Jude an und sage: »Keine Angst. Dieses Mal weiß ich, was ich tue. Dieses Mal läuft es anders. Du wirst schon sehen.«
DREIUNDDREISSIG
A ls ich bei Roman ankomme, ist es still. Genau wie ich es gehofft hatte.
Genau wie ich es geplant hatte.
Als Haven mir erzählt hat, dass sie mit Misa, Marco und Rafe zu einem Konzert geht, wusste ich, dass das die ideale Gelegenheit ist, Roman allein und ungestört zu fassen zu bekommen. Damit ich auf friedliche, vernünftige Weise an ihn herantreten und ganz ruhig mein Anliegen vortragen kann.
Ich stehe vor seiner Haustür und nehme mir einen Augenblick Zeit, um die Augen zu schließen und still zu sein. Richte meine Aufmerksamkeit ganz tief in mein Innerstes und kann dort keine Spur des Ungeheuers entdecken. Es ist, als hätte ich, indem ich all meinen Zorn und all meinen Hass auf Roman losgelassen habe, der dunklen Flamme den Sauerstoff geraubt, den sie zum Überleben braucht - und ich bin das, was an ihrer Stelle übrig ist.
Und ich trete erst ein, nachdem ich ein paar Mal geklopft habe und er nicht aufmacht. Ich weiß, dass er da ist. Und zwar nicht nur, weil sein dunkelroter Aston Martin in der Einfahrt parkt, sondern weil ich ihn fühlen , seine Gegenwart spüren kann. Aber seltsamerweise scheint er die meine nicht fühlen oder spüren zu können, sonst wäre er schon hier.
Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer, in die Küche,
schaue durchs Fenster zur Garage hinüber. Und als ich sehe, dass es dort dunkel ist, keine Spur von ihm, halte ich auf sein Schlafzimmer zu, rufe seinen Namen und trete viel geräuschvoller auf als nötig. Ich ziehe es vor, ihn nicht zu überrumpeln oder ihn bei irgendetwas Peinlichem zu ertappen.
Er liegt in der Mitte eines riesigen, reich verzierten Himmelbettes, eins mit so vielen Vorhängen und Troddeln, dass es mich an die erinnert, die Damen und ich uns bei unseren Sommerland-Ausflügen in unserer Version von Versailles gern zu Gemüte führen. Gekleidet ist er in ein offenes weißes Leinenhemd und verwaschene Jeans; er hat die Augen fest geschlossen, einen Kopfhörer aufgesetzt und drückt ein Bild von Drina gegen die Brust.
Und unwillkürlich bleibe ich stehen und überlege gerade, ob ich vielleicht einfach kehrtmachen und mich verdrücken, ihn mir ein anderes Mal vornehmen soll, da sagt er: »Ach, Herrgott noch mal, Ever, sag bloß nicht, du hast schon wieder die verdammte Tür plattgemacht?« Damit setzt er sich auf, wirft den Kopfhörer zur Seite und legt das Foto von Drina behutsam wieder in die Nachttischschublade. Es scheint ihm nicht im Mindesten peinlich zu sein, in einem so privaten, sentimentalen Moment überrascht worden zu sein. »Deine ganze Nummer hier kommt langsam ein bisschen überzogen rüber, findest du nicht?« Er schüttelt den Kopf und fährt sich mit den Fingern durch die goldenen Wellen, streicht sie wieder zurecht. »Ehrlich, Darling, kann man hier als Mann denn nicht mal ein bisschen seine Ruhe haben? Mit dir und Haven …« Er seufzt und setzt die bloßen Füße auf den Boden, als wolle er aufstehen, doch er tut es nicht, er bleibt einfach so sitzen. »Na ja, ich fühle mich ein bisschen ausgelaugt. Du verstehst, was ich meine?«
Ich sehe ihn an und weiß, dass ich das wahrscheinlich nicht fragen sollte, doch ich bin viel zu neugierig. »Hast du … hast du meditiert?« Ich blinzele verblüfft, ich habe ihn nie als den Typen gesehen, der tief in sein Inneres vordringt und versucht, mit jener universellen Macht Verbindung aufzunehmen.
»Und wenn?« Er fährt sich mit den Händen über die Stirn und dreht sich zu mir herum. »Wenn du’s unbedingt wissen musst, ich habe
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