Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
verloren, ich ertrinke, bin fast … »Ganz im Ernst, ich denke, du solltest mal rausgehen, frische Luft schnappen und ein paar Mal tief durchatmen. Wirklich, du wirst dich wundern, wie viel besser du dich fühlst.«
Und so schön sich das auch anhört, so gut er es auch meint, ich weiß es besser. Draußen, das ist der letzte Ort, wo ich sein sollte. Dort ist Roman, kommt näher, jede Sekunde
näher. Außerdem war das nicht gerade das, was ich gemeint habe, als ich gesagt habe, wir sollten gehen. Und obwohl ich das Ganze nicht wirklich durchdacht habe, die ganze Liste der Vor- und Nachteile nicht durchgegangen bin, seit ich vor ein paar Tagen das erste Mal auf die Idee gekommen bin, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir gehen jetzt, wir beide, denn ganz egal was passiert, hierzubleiben wäre schlimmer.
Während mein Herz dröhnt und mein Puls hämmert und Roman beharrlich näher kommt, packe ich Judes Gipsarm fester und hoffe inständig, dass ich es auch jetzt noch hinkriege, obwohl alles andere mich im Stich gelassen hat.
Hoffe, dass ich immer noch den einzigen Ort erreichen kann, wo ich noch ich selbst bin.
Ich sehe seine erschrockene, verwirrte Miene und weiß, wenn ich mich nicht beeile, ist es zu spät für mich.
Zu spät für uns alle.
Ich werde mit Roman zusammen sein.
Die dunkle Magie wird siegen.
Mit unsteter Stimme sage ich: »Ich weiß, das hört sich verrückt an, aber du musst jetzt die Augen zumachen und dir ein Portal aus schimmerndem goldenen Licht vorstellen, direkt vor dir. Konzentrier dich mit aller Kraft darauf, und stell keine Fragen. Vertrau mir einfach.«
SECHZEHN
W ir stolpern beide Seite an Seite durch das Portal und landen auf dem wunderbaren, federnden Gras, ehe wir leichtfüßig aufspringen. Und das Erste, was ich tue, ist, mich zu Jude umzudrehen und auf seine Arme zu zeigen. »Schau mal.«
Er blickt nach unten, und seine Augen werden riesengroß.
»Du bist doch während deiner metaphysischen Studien bestimmt mal irgendwo auf den Namen Sommerland gestoßen?«
Ich lächele; mein Gesicht und meine Schultern heben sich ganz leicht … Alles ist ganz leicht … Ich bin frei von dem Ungeheuer in mir …, und wenn auch nur vorübergehend, egal …
Er sieht sich um, starrt durch den schimmernden Nebel auf die bebenden Bäume, an deren Ästen schwere, reife Früchte hängen, auf die großen, bunten Blumen mit den pulsierenden Blütenblättern und den rasch dahinfließenden regenbogenfarbenen Bach gleich dahinter. »Das ist das Sommerland?«, fragt er. Ehrfurcht liegt auf seinem Gesicht. »Es existiert wirklich?«
Ich nicke, und jegliche Angst, die ich vorher hatte, ihn hierherzubringen, ist plötzlich verschwunden. Nur weil es eine schlechte Idee war, Ava mitzunehmen, heißt das nicht, dass bei Jude dasselbe passieren wird. Sie sind total
verschieden. Er ist ganz anders. Viel mehr, als Ava es sich jemals erhoffen kann.
»Warum ich dich hergebracht habe?« Ich lache und lese augenblicklich die Frage, die er gestellt, aber noch nicht ausgesprochen hat. Und sende telepathisch die Antwort: Um dich zu heilen, natürlich!
Wobei ich sorgfältig den anderen, vordringlicheren Grund weglasse, nämlich um mich selbst heilen zu können.
Gedanken sind Energie, füge ich hinzu und sehe seinen überraschten Gesichtsaudruck. Man kann sie spüren, sie hören, sogar mit ihnen erschaffen. Aber wenn du lieber ins Krankenhaus möchtest, dann mache ich gern wieder das Portal …
Er sieht mich an und will gerade etwas sagen, als er es sich anders überlegt und stattdessen denkt. Zuerst macht er die Augen zu, als versuche er, sich zu konzentrieren, bald jedoch merkt er, wie leicht und mühelos alles ist. Er sieht mich an und lässt die Worte geradewegs in meinen Kopf strömen: Ich glaub’s nicht, dass du so lange damit gewartet hast, mich herzubringen. Ich kann es nicht fassen, dass du mich so hast leiden lassen!
Ich lache und nicke zustimmend, und mir ist klar, dass ich das am besten wiedergutmachen kann, indem ich ihm zeige, was hier noch alles möglich ist.
»Mach die Augen zu«, sagte ich und sehe, wie er ohne Zögern gehorcht. Sein Vertrauen zu mir ist so absolut, dass ich unwillkürlich erröte. »Und jetzt denk an irgendetwas, das du haben willst, ganz egal an was. Und vergewissere dich, dass du es auch wirklich haben willst, weil es nämlich gleich dir gehören wird. Bist du so weit?«
Und ich komme kaum dazu auszureden, ehe ich auch schon auf einem rosigen Sandstrand sitze und zusehe,
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