Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
Methode ausdenken und versuchen, dich gut mit mir zu stellen, statt mich zu bedrohen.«
Doch sie lächelt nur, wobei sich ihr Gesicht auf so gespenstische Weise verzieht, dass ihre leeren, roten Augen noch mehr hervortreten. »Vielleicht kann ich dich nicht verletzen, aber glaub mir, Ever, ich kann nach wie vor den Leuten massiven Schaden zufügen, die dir lieb und teuer sind. Und so gut und schnell du auch sein magst, tja, du kannst trotzdem nicht immer überall sein. Du kannst nicht jeden retten.«
Und da tut sie es – in diesem Moment nutzt sie meinen momentanen Schock über ihre Worte aus und grabscht nach dem Elixier in meiner Hand.
Doch ich reagiere ein klein wenig schneller, als sie dachte.
Ich werfe die Flasche beiseite, sodass sie auf der anderen Seite des Zimmers und damit außerhalb ihrer unmittelbaren Reichweite landet, und stürze mich auf sie. Und zwar so schnell und so gezielt, dass sie es gar nicht kommen sieht.
Ich werfe sie auf den Teppich und schlinge ihr hektisch die Finger um den Hals. Als ich das Gewirr von Halsketten durchwühle, merke ich, dass sie das Amulett immer noch nicht trägt.
Doch obwohl ihr Gesicht blau anläuft, obwohl ich ihr langsam die Luft abdrücke, lacht sie nur. Dadurch presst sich ihr Kehlkopf fest gegen meine Hand, und sie stößt ein so grauenhaftes, so beklemmendes Geräusch aus, dass ich versucht bin, sie umzubringen, nur um ihm ein Ende zu machen.
Ich darf jedoch nichts überstürzen. Kann mir nicht erlauben, so etwas zu tun. Nicht ehe ich habe, was ich will, und wenn der Preis dafür ein paar Flaschen Elixier sind, dann soll es mir recht sein.
»Gib mir das verdammte Elixier!«, kreischt sie, sowie ich meinen Griff lockere. Sie windet sich verzweifelt unter mir und wirft sich wild hin und her, während sie mich mit ihren spitzen Nägeln kratzt.
Sie tobt wie ein tollwütiges Tier.
Wie ein Junkie, der zu lange ohne Stoff auskommen musste.
Als ich mich von ihr löse, krabbelt sie über den Boden, schnappt sich die Flasche, reißt den Deckel ab und rammt sie sich so brutal gegen den Mund, dass ihre Schneidezähne abbrechen.
Sie achtet überhaupt nicht darauf. Sie schluckt nur und schluckt und schluckt so gierig, dass es nur wenige Sekunden
dauert, ehe die Flasche völlig leer ist. Ein Hauch von Farbe kehrt in ihre Wangen zurück, aber ihre Zähne haben sich nicht von selbst regeneriert – ganz abgesehen davon, dass sie das nicht zu kümmern scheint. Sie sieht mich nur einfach an und leckt sich die Lippen. »Mehr«, verlangt sie. »Und zwar diesmal von der guten Sorte. Von dem Saft, den du gestohlen hast. Deiner schmeckt mies.«
»Schien dich nicht abzuhalten«, sage ich betont gleichgültig. Ich habe nicht die Absicht, ihr noch mehr zu geben, nicht bevor ich bekomme, was ich will. »Von mir aus kannst du meinen ganzen Vorrat haben. Ich bin nicht süchtig wie du.« Langsam mustere ich sie, nicht ohne erkennen zu lassen, wie sehr mich ihr Anblick verstört. »Aber nur damit du’s weißt – ich hab dein Elixier nicht gestohlen. Das waren Misa und Marco.« Ich studiere ihr Gesicht und sehe, wie es sich verändert, während sie meine Worte verarbeitet und überlegt, wie wahrscheinlich es ist, dass sie tatsächlich ein Körnchen Wahrheit enthalten.
»Und woher weißt du das?« Sie zieht die Brauen zusammen und stemmt die Hände in die Hüften.
Ich fange ihren Blick auf und weiß, dass ich jetzt schnell etwas sagen muss, doch ich bin mir nicht ganz sicher, was. Wenn ich ihr verrate, dass ich dort war, dass ich es gesehen habe, dann wird klar, dass ich nach etwas anderem gesucht habe, etwas, dessen Bedeutung sie vielleicht noch nicht erkannt hat. Und so zucke ich stattdessen nur die Achseln und zwinge meine Stimme und mein gesamtes Auftreten dazu, kühl, ruhig und gefasst zu bleiben. »Weil ich es nicht gestohlen habe. Und weil Damen es auch nicht gestohlen hat. Und weil das wohl kaum der Grund dafür ist, dass ich deine Attacke überlebt habe. Und weil es das einzig Logische ist, wenn du nur mal genau darüber nachdenkst.«
Sie sieht mich stirnrunzelnd an. Mehr brauche ich nicht, um zu begreifen, dass sie es mir nicht abnimmt. Dass sie nach wie vor davon überzeugt ist, dass ich es war.
»Oder – oder vielleicht war es auch Rafe?«, sage ich, nachdem ich ihn vorübergehend vergessen hatte. »Ich meine, wann hast du ihn eigentlich zum letzten Mal gesehen?«
Ein Blick in ihr Gesicht verrät mir, dass es nicht funktioniert. Obwohl alles, was ich gerade
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