Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
sie dafür verantwortlich ist.
Wir bahnen uns den Weg durch hohe Papierstapel, die kreuz und quer über den Boden verstreut sind. Damen pirscht sich vorsichtig hindurch, während ich ein paar Mal ins Stolpern komme und ausrutsche, sodass er mich auffangen muss.
Ich weiche einem umgekippten Stuhl sowie einigen richtig hässlichen grünen Paisley-Kissen aus, die zu dem kleinen Zweiersofa in der Ecke gehören. Damen schiebt einen leer geräumten Aktenschrank aus dem Weg, sodass wir uns dem Schreibtisch nähern können, der fast so überfüllt ist wie der Fußboden – massenhaft Papiere, Pappbecher, Bücher und solche Berge von Gerümpel, dass man darunter das Holz mit den feinen Intarsien kaum mehr erkennen kann. Wir durchwühlen jede einzelne Schublade, äugen in jeden Winkel, bis wir sicher sind, dass es nicht hier ist – überzeugt davon, dass es nirgends mehr versteckt sein kann.
Damen steht neben mir mit einem Gesichtsausdruck, der eher entschlossen als enttäuscht wirkt, da er sich nie der Hoffnung hingegeben hat, dass wir es so leicht finden würden. Und obwohl er sich bereits zum Gehen wendet, bin ich noch nicht ganz so weit. Irgendwie muss ich immer wieder den kleinen Weinkühlschrank in der Ecke anschauen. Der Stecker ist herausgezogen, und die Tür hängt schief in den Angeln.
Ein kleiner, unschuldiger Kühlschrank, der nichts Besonderes an sich hat, abgesehen davon, dass ich mir sicher bin, dass er einst voller Elixier war, doch ich habe keine Ahnung, wer ihn geleert haben könnte.
Waren es Misa und Marco, die ich zuletzt gesehen habe, als sie mit zwei Reisetaschen voller gestohlenem Saft über einen Zaun geklettert sind?
War es Rafe, den ich schon so lange nicht mehr gesehen habe, dass ich gar nicht weiß, ob er überhaupt noch hier wohnt?
Oder war es Haven, die – zumindest soweit ich weiß – eine massive Elixiersucht entwickelt zu haben scheint?
Und, was noch wichtiger ist, spielt es überhaupt eine Rolle, da es mir hier doch in Wahrheit nur darum geht, an das Hemd zu kommen?
Damen stupst mich an, damit wir gehen. Und da es keinen Grund zum Bleiben gibt und hier nichts zu holen ist, sehe ich mich ein letztes Mal um, um sicherzustellen, dass ich nichts übersehen habe, ehe ich ihm zur Tür hinaus folge und wir ebenso leise und unbemerkt wieder verschwinden, wie wir gekommen sind.
Wir haben unser Ziel nicht erreicht, auch wenn wir jetzt noch genauer wissen, dass wir dem Objekt unserer Begierde näher kommen und eindeutig Fortschritte gemacht haben.
Havens Welt zeigt nicht nur Abnutzungserscheinungen, sondern beginnt überall um sie herum in die Brüche zu gehen. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie entweder um Hilfe bittet oder sich komplett selbst zerstört.
So oder so, ich habe vor, dabei zu sein.
VIERUNDDREISSIG
I ch setze Damen bei sich ab, damit er Miles beim Proben helfen kann, während ich nach Hause fahre, um mir einen neuen Schlachtplan einfallen zu lassen. Ich bin entschlossener denn je, das Hemd aufzutreiben.
Ich atme vor Erleichterung auf, als ich sehe, dass die Garage leer ist. Sabines freier Platz signalisiert, dass sie entweder noch arbeitet oder mit Mr. Muñoz ausgegangen ist, und das sagt mir, dass ich ein leeres Haus vorfinden werde. Somit habe ich die dringend benötigte Zeit für mich und ein paar Stunden Ruhe und Frieden, also genau das, was ich brauche, ehe ich mich wieder aufmache.
Doch ich habe das Haus gerade erst durch die Seitentür betreten und will soeben auf mein Zimmer gehen, als ich es spüre: einen kalten Lufthauch aus Energie.
Dessen Wirkung so beißend kalt ist, dass es nur eines bedeuten kann: Ich bin nicht annähernd so allein, wie ich dachte.
Ich drehe mich auf dem Absatz um und bin nicht das kleinste bisschen erstaunt darüber, dass Haven hinter mir steht. Ihr Körper bebt, und ihr einst schönes Gesicht ist nun nur noch eine schockierend bleiche Anordnung von eingefallenen Wangen, einer spitzen Nase, hässlichen, verschrumpelten Lippen und Augen, die so leer und rot sind und so tief in den Höhlen liegen, dass man genauso gut das Bild eines Mordopfers vor sich haben könnte.
Ihre Lippen zucken auf so gruselige Weise, dass sie schlagartig zu einem noch schrecklicheren Anblick wird. Mit finsterer Miene funkelt sie mich an. »Wo ist es, Ever?«
Und plötzlich weiß ich, wer den Kühlschrank im Laden zerlegt hat.
Weiß genau, warum sie hier ist.
Misa und Marco sind in ihr Haus eingebrochen, um ihr Elixier zu stehlen – jetzt
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