Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
passt alles zusammen.
Roman hat das Rezept nie weitergegeben, und ohne ihn sind die abtrünnigen Unsterblichen von ihrer Quelle abgeschnitten. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihre Kräfte schwinden und sie zu guter Letzt ihre Jugend und ihre Schönheit verlieren.
Ich bin Havens einzige Hoffnung darauf, ihre Kräfte zu bewahren.
Ihr neues Leben.
Doch ich habe nicht vor, es ihr leicht zu machen. Nicht, wenn dies die Lösung sein könnte, die ich brauche.
Sie will etwas haben, was ich besitze – und ich will etwas, was sie besitzt. Damit bin ich angesichts der Umstände in einer ziemlich guten Position, um ein Geschäft mit ihr auszuhandeln.
Allerdings muss ich vorsichtig und besonnen vorgehen. Ich darf sie nicht auf die wahre Bedeutung des Hemds aufmerksam machen, falls sie die nicht längst begriffen hat.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sage ich daher betont gelassen und lächele, um Zeit zu schinden und sie besser ergründen zu können, während ich in Gedanken einen Plan aushecke.
Doch sie hat keine Lust auf Spielchen; dazu hat sie es viel zu eilig. Sie siecht rapide dahin, kann sich jetzt schon kaum
noch aufrecht halten und hat keine Zeit für ein solches Geplänkel.
»Spar dir die Scherze und gib’s mir einfach!« Sie verdreht die Augen und schnaubt leise, während sie so heftig den Kopf schüttelt, dass sie völlig das Gleichgewicht verliert und sich gezwungen sieht, nach dem Treppengeländer zu greifen, um sich festzuhalten.
Ich mustere sie einen Moment lang. Sie wirkt so nervös, so zappelig und so neben der Spur, dass sie kaum stehen kann. Ich konzentriere mich auf ihren Solarplexus, sehe ihn wie das Schwarze in der Mitte einer Zielscheibe und bin absolut bereit, sie zu überwältigen, falls es sein muss, obwohl ich immer noch hoffe, dass es nicht so weit kommen wird. Dann versuche ich, mich auf ihre Energie einzustimmen, mich in ihren Kopf einzuloggen und so vielleicht irgendwie rauszukriegen, wo sie eigentlich steht und wie weit sie zu gehen bereit ist, um zu bekommen, was sie will – doch meine Mühen werden nicht belohnt.
Sie ist nicht nur von mir abgeschottet, sondern ebenso von allem anderem um sie herum.
Gehört zu nichts und niemandem.
Gehört kaum zu sich selbst.
Sie ist wie ein personifiziertes Schattenland.
Dunkel.
Allein.
Völlig gefangen in einer Vergangenheit, für die sie sich um jeden Preis rächen will, obwohl die Wahrheit nicht im Entferntesten der Version entspricht, die sie sich selbst eingeredet hat.
»Das Elixier, Ever! Gib mir endlich das verdammte Elixier! « Ihre Stimme klingt schrill und rauer als je zuvor und gibt zu erkennen, wie stark sie mittlerweile von ihrer Verzweiflung
geprägt ist. »Ich hab schon in allen Kühlschränken nachgesehen – in dem in der Küche, in dem draußen am Grill, in dem in der Waschküche, und jetzt wollte ich gerade in deinem Wohnzimmer nachsehen, als du nach Hause gekommen bist und mich überrascht hast. Aber da du jetzt sowieso schon da bist, kann ich dich genauso gut höflich fragen – nachdem wir ja früher mal gute Freundinnen waren und so. Also, jetzt komm schon, Ever, um der alten Zeiten willen, um der alten Freundschaft willen, rück das Elixier raus, das du gestohlen hast!«
»Das nennst du höflich fragen?« Ich ziehe eine Braue hoch und registriere, wie sie den Abstand zwischen dem Treppengeländer und mir kalkuliert, als wollte sie dazwischen hindurchschlüpfen, was mich veranlasst, schnell danach zu greifen und ihr diese Möglichkeit zu versperren.
Sie murmelt irgendetwas Unverständliches und umklammert das Geländer so fest, dass ihre Knöchel unfassbar weiß werden. Dazu mustert sie mich mit Augen, die so rot sind, als würden sie bluten, der letzte Beweis dafür, dass sie kurz vorm Überschnappen ist. »Jetzt gib’s mir schon endlich!«, blafft sie mich an.
Ich hole tief Luft und konzentriere mich darauf, sie mit einem Strom aus beruhigender Energie zu umhüllen in der Hoffnung, sie damit zu besänftigen, ihren Ärger abzukühlen und Wucht und Ausmaß ihres Zorns lindern zu können. Es hätte mir gerade noch gefehlt, dass sie jetzt explodiert und eine Art Supergau veranstaltet. Obwohl sie keine reale Bedrohung mehr für mich darstellt, ist sie nach wie vor eine sehr reale Bedrohung für alle anderen um sie herum, und ich kann es mir nicht leisten, es so weit kommen zu lassen.
Doch als ich sehe, wie meine Friedensblase erneut an ihr
scheitert, nicht in sie eindringt, sondern ganz ähnlich
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