Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
Abschlussjahr.« Sie lächelt hämisch, und der Saphir zwischen ihren Brauen fängt das Neonlicht auf und glitzert. »Wie findest du es bis jetzt? Deine Lehrer – deine Stunden – ist alles so, wie du es dir erträumt hast?«
Ich zucke die Achseln und weigere mich, mehr preiszugeben, weigere mich, mich in ihr Spiel verwickeln zu lassen. Das hier ist genau die Art von nutzlosem Wortgeplänkel, wie es Roman liebte, und wenn ich schon bei ihm nicht darauf eingegangen bin, werde ich ihr den Gefallen garantiert auch nicht tun.
Sie mustert mich weiterhin, von meinem Schweigen nicht im Geringsten eingeschüchtert. Wenn überhaupt, dann ermutigt es sie eher. »Tja, also was mich betrifft, so entwickelt es sich sogar noch besser als geplant. Bestimmt ist dir schon aufgefallen, wie beliebt ich bin. Ehrlich gesagt, kann ich mich gar nicht entscheiden, ob ich Cheerleader werden, mich zur Klassensprecherin wählen lassen oder beides zugleich machen soll. Was meinst du?« Sie hält inne und lässt mir genug Zeit, um meine Meinung zu äußern, doch als ich es nicht tue, fährt sie achselzuckend fort. »Ich meine, sehen wir der Wahrheit doch ins Auge, ich will ja nicht angeben, aber es steht völlig außer Zweifel, dass ich jetzt alles tun kann, was ich will. Sicher hast du bemerkt, wie die Leute mich ansehen und wie sie mir nachlaufen. Es ist wie …« Ihre Augen leuchten auf, und ihre Wangen laufen leuchtend rosa an, während sie sich die Arme um die Taille schlingt und sich in einem Anfall von Eigenliebe selbst umarmt. »Es ist, als wäre ich ein Rockstar oder so was – sie können gar nicht genug von mir kriegen!«
Ich seufze so laut, dass sie es hört, und begegne ihrem eingebildeten Blick mit restlos gelangweilter Miene. »Glaub mir, ich hab’s bemerkt«, sage ich und wische ihr das triumphierende Grinsen schlagartig aus dem Gesicht, als ich hinzufüge: »Ein Jammer, dass es nicht echt ist. Ich meine, dessen bist du dir doch bewusst, oder? Du fabrizierst das alles. Du lockst sie gezielt an, nimmst ihnen jede Wahlmöglichkeit und raubst ihnen den freien Willen, genau wie Roman es getan hat. Es ist nicht echt.«
Sie lacht und tut meine Worte mit einer Handbewegung ab. Dann umkreist sie mich langsam, bis sie schließlich direkt vor mir stehen bleibt. »Mal im Ernst. Ich meine, was willst du eigentlich, Ever? Bist du vielleicht ein bisschen neidisch, weil ich es endlich an Tisch A geschafft habe, während du immer noch eine Blindgängerin bist, die auf ewig bei den Nieten hocken bleibt?«
Ich verdrehe die Augen und denke an mein altes Leben in Eugene, Oregon, damals, als ich ein wandelndes Klischee der Beliebtheit war. Und obwohl ich es lange vermisst habe, vor allem die scheinbare Einfachheit daran – die Regeln der Angepasstheit, die mir damals so leicht zu befolgen schienen – , würde ich für nichts auf der Welt wieder so leben wollen. Es reizt mich überhaupt nicht mehr.
»Wohl kaum.« Ich funkele sie aus schmalen Augen an. »Allerdings bin ich überrascht, wie begeistert du dich hineingestürzt hast. Ich meine, wenn man bedenkt, dass du dich früher immer total über sie lustig gemacht hast. Aber das hast du vermutlich nur getan, um zu verbergen, dass du insgeheim eine von ihnen sein wolltest. Du hast so getan, als sei dir egal, dass sie dich geschnitten haben, obwohl es dir in Wirklichkeit ganz schön was ausgemacht hat.« Ich schüttele den Kopf und sehe sie mitleidig an, was sie, falls
ich aus ihrem Gesichtsausdruck schließen darf, nur noch mehr aufbringt. »Aber deshalb hast du mich ja bestimmt nicht hierher zitiert«, fahre ich fort, da ich endlich zur Sache kommen will. »Warum spuckst du nicht endlich aus, worum es geht? Was musst du mir denn so dringend sagen, dass es nicht warten kann und unbedingt hier in dieser potthässlichen Kloanlage besprochen werden muss?«
Ich warte geduldig, dass sie endlich spricht, während ich im Stillen die Versprechen wiederhole, die ich mir selbst gegeben habe.
Ich beginne den Kampf nicht.
Ich hole nicht zum ersten Schlag aus und versetze ihr nicht den ersten Fausthieb oder irgendetwas dergleichen.
Ich schöpfe alle anderen Möglichkeiten aus, ehe die Sache zu eskalieren droht.
Ich setze ihrem Leben kein Ende, es sei denn mein Leben oder das eines anderen ist bedroht.
Ich überlasse es ihr, den ersten Schritt zu tun.
Doch wenn sie ihn tut, tja, von dem Moment an bin ich nicht mehr dafür verantwortlich, was mit ihr geschieht …
Sie seufzt genervt und sieht mich
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