Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
Balthazars Stimme hören, wie gerne er derjenige gewesen wäre, der mich glücklich machte. »Balthazar, es ist schön, wenn wir zusammen rumhängen - und du bist toll, aber es ist trotzdem nicht so, dass du und ich …« Abrupt versuchte ich, ihm die Verantwortung zuzuschieben: »Was könntest du schon mit jemandem anfangen, der so jung ist, wie ich es bin?«
»Ich bin dir gar nicht so unähnlich. Ich weiß, dass das der Fall sein sollte, aber wir unterscheiden uns kaum.« Neugierig musterte er mich. »Ist dir denn gar nicht aufgefallen, dass sich alle Schüler hier wie Teenager benehmen? Selbst die, die älter als ich sind?«
»Na ja, schon. Ich dachte, das läge einfach daran, dass sie unsicher sind, weil sie nicht in diese Welt gehören.«
»Das stimmt sicher auch. Aber Reife hat nicht nur etwas mit den Gefühlen zu tun, Bianca. Es betrifft auch den Körper. Diejenigen von uns, die jung gestorben sind, werden niemals wirklich erwachsen sein. Egal, wie viele Jahrhunderte wir überdauern, egal, was wir erleben. Wir können uns nicht verändern.« Balthazar wirkte mit den Gedanken woanders und beinahe traurig, aber dann straffte er seine Schultern und warf mir ein freundliches Lächeln zu. »Mach dir keine Sorgen. Wegen dir und mir, meine ich. Ich bringe da schon nichts durcheinander.«
»Gut«, sagte ich, aber ich war nicht richtig überzeugt.
Es war schon ziemlich spät, als ich in mein Zimmer zurückkehrte, doch Raquel war nicht da. Offenbar hatte sie einen wirklich guten Ort zum Verstecken aufgetan. Ich zog meinen Schlafanzug an und nutzte den ungestörten Augenblick, indem ich vor dem Schlafengehen eine ganze Thermosflasche Blut austrank. Eigentlich hatte ich schon bei meinen Eltern genug gehabt, aber ich hatte es satt, um drei Uhr morgens hungrig beziehungsweise durstig aufzuwachen. In dieser Nacht würde ich immerhin mal durchschlafen können, dachte ich.
Dass es dazu dann doch nicht kam, hatte völlig andere Gründe. Einige Stunden, nachdem ich zu Bett gegangen war, wachte ich davon auf, dass mir Raquel eine Hand auf die Schulter legte und flüsterte: »Bianca?«
»Hmmm?« Ich rollte mich zu ihr herum und starrte sie durch die Dunkelheit hindurch an. Zuerst war ich noch so verschlafen, dass ich ganz vergessen hatte, wie sauer ich auf sie war. »Was ist denn los?«
»Wir müssen uns unterhalten.«
»Oh. In Ordnung.« Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass wir praktisch nicht mehr miteinander sprachen, aber das schien keine Rolle zu spielen. Raquels Gesicht war bleich, und in ihren Augen stand die gleiche nicht greifbare Furcht, an die ich mich noch aus dem letzten Jahr erinnerte, als Erich ihr nachgestiegen war. Ich setzte mich auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Was ist denn los mit dir? Warum bist du denn so durchgedreht, als ich dich auf die Geister angesprochen habe?«
»Zuerst musst du mir die Wahrheit sagen.« Raquel atmete so krampfhaft ein, dass ihre Nasenflügel bebten. »Hast du den Geist hier in unserem Zimmer gesehen?«
»Nein, nicht bei uns. Aber ich habe oben … im Turm … etwas bemerkt, das ich für ein Gespenst gehalten habe.« Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich mir da sogar ganz sicher war, ohne zu verraten, wie es dazu kam, dass ich es mit Bestimmtheit wusste; das hielt ich für keine gute Idee. Raquel hatte eine solche Angst vor Geistern, dass ich mir sicher war, wie wenig ihr die Mitteilung gefallen würde, dass sie noch dazu von Vampiren umgeben war.
Zu meiner Überraschung schien Raquel erleichtert. »Also hier drin war der Geist wirklich nicht? Er ist nicht mal in meine Nähe gekommen?«
»Nein. Nicht mal annähernd.«
»Wie hat er denn ausgesehen?«
Ich glaubte, dass die Beschreibung Raquels Angst nur noch vergrößern würde, und so blieb ich vage. »Es war ein Mann. Mittleren Alters, schätze ich. Sein Haar und sein Bart waren lang und dunkel, wie man es auf alten Gemälden sieht. Ich hatte den Eindruck, dass er aus uralter Zeit stammt. Und ich weiß, dass ich ihn mir nicht nur eingebildet habe. Er war wirklich da.«
»Und du bist dir sicher, dass er selbst kein alter Mann war? Kein alter, gebückter Typ?« Als ich nickte, presste sie ihre Faust auf den Mund und biss sich auf die Knöchel. Mir dämmerte, dass Raquel versuchte, nicht zu weinen.
»Was hat das denn alles zu bedeuten?« Zunächst antwortete sie mir nicht; vielleicht konnte sie nicht. »Raquel, es klingt, als wüsstest du mehr über Geister, als du mir gegenüber zugibst.«
Sie
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