Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
keinen weiteren Informationen rausrückte, vertiefte sich Raquel anscheinend wieder in ihre Zeitschrift. Rasch machte ich mich fertig, streifte den Pullover über, suchte ein paar lang herunterbaumelnde Ohrringe raus und legte sogar ein wenig von dem Parfüm auf, das mir meine Eltern zum Geburtstag geschenkt hatten und das nach Gardenien roch.
Als ich das Parfümfläschchen wieder in die Schublade schob, streiften meine Finger den Samtschal, in den die Brosche eingewickelt war, die Lucas mir geschenkt hatte. Ich dachte nicht daran, wie er sie für mich gekauft hatte, sondern erinnerte mich an die Zeit, in der wir gezwungen gewesen waren, sie zur Pfandleihe zu bringen, weil wir gemeinsam auf der Flucht waren, völlig verzweifelt und ohne Geld. Aber gleichgültig, in welch schlimmen Schwierigkeiten wir auch gesteckt hatten - wenn ich mit meinem eigenen Ich hätte tauschen und wieder zurück zu diesem Moment hätte reisen können, in dem es nur mich und Lucas gegen den Rest der Welt gegeben hatte, dann hätte ich das getan. Es war, als könnte ich nicht begreifen, warum sich die Welt nicht teilte - einfach an den Nähten aufriss - und uns beide wieder miteinander vereinte.
»Ich bin froh, dass es in Sachen Liebe besser für dich läuft.« Endlich drehte sich Raquel herum, und da war sogar ein kleines, zögerliches Lächeln auf ihrem Gesicht. »Es müsste ja wohl möglich sein, dass es besser als beim letzten Mal läuft, oder?«
Sie hatte Lucas nie leiden können, und nun zu hören, wie sie genauso abfällig über ihn sprach wie Mrs. Bethany, brachte das Fass zum Überlaufen. »Das geht dich überhaupt nichts an«, fauchte ich. »Du kannst mich nicht tagelang ignorieren und mir dann deine Meinung über mein Liebesleben aufdrängen. Du benimmst dich nur wie eine Freundin, wenn du gerade in der richtigen Stimmung dafür bist, und das geht mir wirklich auf die Nerven.«
»Entschuldige, dass ich lebe.« Raquel warf ihre Zeitschrift auf ihr Bett und marschierte aus dem Zimmer. Ich konnte mir nicht vorstellen, wohin sie wohl in T-Shirt und Boxer-Shorts gehen wollte, aber ich tat so, als interessierte mich das überhaupt nicht.
Im Übrigen hatte ich auch keine Zeit dafür, ihr nachzulaufen. Ich musste meinen neuen »Freund« zum Abendessen bei meinen Eltern abholen.
»Dann geht ihr beide dieses Jahr gemeinsam zum Herbstball?«, fragte Mom, während sie einen mächtigen Haufen Kartoffelbrei auf meinen Teller löffelte.
Balthazar und ich wechselten einen Blick. Wir hatten bislang noch gar nicht über den Herbstball nachgedacht, aber Moms Frage war durchaus berechtigt. »Auf jeden Fall«, sagte er rasch. »Mir war einfach gar nicht bewusst, dass er praktisch schon vor der Tür steht.«
»Ja, die Zeit rast dahin.« Dad schüttelte wehmütig den Kopf, ehe er sein Glas hob und einen Schluck Blut trank. »Es scheint, als verginge sie immer schneller, je älter man wird.«
»Wem sagen Sie das?«, antwortete Balthazar. Augenblicke wie diese erinnerten mich daran, dass er zwar wie achtzehn oder neunzehn aussah, aber in Wahrheit mehr als dreihundert Jahre alt war - ein ebenso erfahrener und mächtiger Vampir wie meine Eltern.
Natürlich war mir klar, dass ich diejenige am Tisch war, die aus der Reihe fiel. Es wäre auch schwer, sich dessen nicht bewusst zu sein, wenn alle anderen Blut tranken und man selbst die Einzige war, die Truthahn und Kartoffeln auf dem Teller liegen hatte.
»Wir müssen uns ranhalten und ein Kleid für dich aussuchen, wenn ich es noch für dich ändern soll.« Mom strahlte mich an, als wäre ich mit dem Hauptgewinn einer Lotterie nach Hause gekommen, nicht mit einem Jungen an meiner Seite.
»Klar«, antwortete ich. »Das wäre toll.«
Sie drückte meine Schulter und freute sich für mich, und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich vermisste die Tage, als ich meinen Eltern noch alles erzählen konnte.
Der Rest des Abendessens verlief etwas weniger steif und seltsam, und schließlich schob Dad eine CD mit Dinah Washington, einer meiner Lieblingssängerinnen, in die Stereoanlage. Es hatte den Anschein, dass er und meine Mutter alles, was sie konnten, taten, damit ich eine schöne Zeit hatte. Als ich sagte, ich wolle Balthazar hinunterbegleiten, scheuchten sie uns beinahe eifrig davon.
Wir liefen nebeneinander die Steintreppe hinunter, und ich stöhnte: »Nächste Woche backen sie unseren Hochzeitskuchen und frieren ihn ein.«
»Sie wollen doch nur, dass du glücklich bist.«
Ich konnte in
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