Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
davor, preiszugeben, wie wenig sie doch vom einundzwanzigsten Jahrhundert verstanden, sobald sie sich außerhalb der geschützten Umgebung der Evernight-Akademie befanden.
Balthazar würde heute Nacht die Reihen aufbrechen. Das passte zu der allgemeinen Auffassung, wir würden so aneinanderkleben, dass wir uns nicht mehr aus den Augen lassen konnten. Balthazar hatte mir außerdem versprochen, dass er sich um Raquel kümmern und dafür sorgen würde, dass sie ihren Spaß hatte, auch wenn die Zeit für mich kommen würde, mich davonzuschleichen.
Bis dahin würden sie und ich zusammenbleiben, ob ihr das nun gefiel oder nicht.
»Man kann in Riverton überhaupt nichts machen«, meckerte Raquel, als ich meinen Arm unter ihren schob und sie zum wartenden Bus zog. Sie trug Doc Martens, Jeans und einen Kapuzenpullover. »Ich würde viel lieber in unserem Zimmer herumhängen, ehrlich.«
»Das hast du in letzter Zeit schon mehr als genug getan. Komm schon, das ist doch wenigstens mal was anderes, oder? Wir können in einem Schnellimbiss was essen gehen, und ich bin mir sicher, dass dir mal eine Abwechslung zu Erdnussbutter und Marmeladensandwiches gefallen würde.«
»Tja, also, wenn du es so formulierst …« Sie musterte mein Outfit: ein weißes, gerafftes Oberteil, ein grauer Rock, der mehr von meinen Beinen zeigte, als es mir gewöhnlich lieb war, und die irrsinnig hohen Schuhe, die ich erst zweimal angehabt hatte, weil es gar nicht so leicht war, damit das Gleichgewicht zu halten.
»Willst wohl für Balthazar gut aussehen, was?«
Ich fragte mich, was Lucas sagen würde, sobald er mich so sah, und das alberne, glückliche Lächeln schlich sich zurück auf mein Gesicht. Raquel lachte, denn sie sah, wie ich mich freute, auch wenn sie das Strahlen falsch deutete. Dann machten wir uns auf den Weg zum Bus, wobei ich auf meinen hohen Absätzen hin und her wackelte, aber es war mir gleich, ob jemand über uns lachte. Balthazar zog mich auf seinen Schoß, was vor allem dazu dienen sollte, dass Raquel mit uns auf der gleichen Bank sitzen konnte. Jedenfalls war das der vorgeschobene Hauptgrund.
Wir lachten und unterhielten uns den ganzen Weg über. Balthazar tat sein Bestes, charmant und witzig zu sein und Raquel aus der Reserve zu locken. Schon bald sprach sie mit ihm über das Skaten, was in der Mittelstufe ihre große Leidenschaft gewesen war, und sie zog ihn damit auf, wie wenig er darüber wusste.
Auf dieser ganzen Fahrt gab es nur einen einzigen Augenblick, der uns den Spaß verdarb: Als der Bus auf die Brücke einbog, die über den Fluss führte, spürte ich, wie sich Balthazars Körper versteifte, und seine Hand verkrampfte sich auf meiner Schulter.
Vampire hassen es, fließendes Wasser zu überqueren. Es ist ihnen zwar möglich, aber sie brauchen normalerweise länger, um sich an den Übergang zu gewöhnen. Balthazar blieb nichts anderes übrig, als es aus dem Stand zu schaffen, und es würde schwer für ihn werden. Ich nahm seine Hand, als würde ich mit ihm schäkern, obwohl ich ihm doch in Wahrheit Kraft geben wollte. Der Bus war nun über dem Wasser, und Balthazar schloss fest die Augen.
Eine Welle der Übelkeit erfasste mich. Es fühlte sich an, als ob mir jemand in die Magengrube geschlagen hätte; ich bekam keine Luft und wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Vor meinen Augen wurde es schwarz, nur kleine Funken tanzten, wie es manchmal der Fall ist, wenn man zu rasch aufsteht. Ich umklammerte Balthazars Hand noch fester; sie war auf der Innenseite kalt und schwitzig wie meine eigene.
Und dann verschwand die Übelkeit so rasch, wie sie gekommen war. Ich nahm einen tiefen Atemzug und ließ den Blick schweifen, um mich zu orientieren. Der Bus war auf der anderen Seite des Flusses angekommen.
Die Sperre, die Vampire erleben, wenn sie fließendes Wasser überqueren - jetzt fühlte also auch ich sie. Balthazar warf mir einen neugierigen Blick zu, und ich fragte mich, ob er mein Unbehagen hatte spüren können. Ich starrte aus dem Fenster, denn ich wollte ihm gegenüber nicht zugeben, was ich mir selber kaum eingestehen wollte.
Wir alle aßen direkt am Tresen des Schnellimbisses. Vic stopfte seine Pommes auf seinen Hamburger zwischen das Fleisch und das Brötchen, was uns zum Lachen brachte, doch als wir es probierten, stellte sich heraus, dass es ganz lecker war. Es war seltsam zu sehen, wie Balthazar Zwiebelringe aß und einen Milchshake trank. Er kaute langsam und bedächtig, vielleicht weil er sich
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