Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Titel: Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
Vom Netzwerk:
dann hörte ich ein Klopfen an der Scheibe. Es klang wie von Fingernägeln, und nun bekam ich es so richtig mit der Angst zu tun, aber ich konnte den Blick nicht abwenden.
    Also ging ich zum Fenster und rieb mit meiner bloßen Hand über das Eis. Die Kälte biss in meine Haut, aber die Frostschicht schmolz in nebligen Kreisen, durch die ich etwas sehen konnte. Ein Mädchen starrte mich an, ungefähr in meinem Alter, mit kurzen, hellbraunen Haaren und eingesunkenen Augen. Es sah vollkommen normal aus, abgesehen von der Tatsache, dass es fast durchscheinend war und draußen vor meinem Turmzimmerfenster schwebte.
    Der Geist war zurückgekehrt.

16
    Der Geist war von wässrigen, blaugrünen Schwaden umgeben, und Haare und Haut waren blassblau. Obwohl ich durch das Mädchen hindurchsehen konnte, war es doch so real wie jede andere junge Frau, die ich je getroffen hatte. Ihre Augen bohrten sich in meine, aber sie waren nicht voller Zorn oder Hass, sondern es lag ein Gefühl in ihnen, das ich nicht verstand.
    Ihr Mund bewegte sich, und ich sah winzige Partikel auf ihren Lippen schimmern - Eiskristalle, wie ich mir dachte. Aber noch immer war nichts zu hören.
    Zitternd bewegte ich mich noch näher an die Scheibe ran. Trotz meiner Angst wollte ich endlich verstehen, was in Evernight vor sich ging. Der Geist zuckte, und ich stieß ängstlich die Luft aus. Mein warmer Atem legte einen nebligen Kreis auf dem Glas frei.
    Und in diesem runden Fleck erschien in dünnen, zittrigen Buchstaben: WIR WOLLEN, WAS GERECHT IST.
    »Gerecht?« Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, aber das war ja nichts Neues in dieser Angelegenheit. Wenigstens bot sich mir hier endlich die Chance, herauszufinden, was das Geistwesen mir zu sagen versuchte. Ich merkte, dass die Angst von mir abgefallen war - na ja, jedenfalls überwog meine Neugier die Furcht. »Was meinst du?«
    Das Mädchen antwortete nicht. Seine dunklen Augen blickten jetzt beinahe spöttisch. Langsam verschwand das neblige Guckloch, und auch die Schrift verblasste.
    Nach einer langen Pause, in der ich das Gefühl hatte, mir würde das Herz in der Brust zerspringen, begriff ich, worauf der Geist wartete. Bebend beugte ich mich noch einmal an die Scheibe und hauchte dagegen.
    In dem beschlagenen Kreis erschienen die Worte: DU GEHÖRST NICHT IHNEN.
    »Was?« Ich hatte keine Ahnung, was gemeint sein konnte. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und meine Eltern geholt. Stattdessen aber atmete ich wieder gegen das Glas, damit das Geistermädchen sprechen konnte.
    DU BIST NICHT WIE SIE.
    »Nein, bin ich nicht.« Das war das Einzige, was ich mit Gewissheit über mich wusste, und das Einzige, was mir schon immer klar gewesen war. Aber der Geist war der Erste, der diese Tatsache bestätigte. »Aber wem gleiche ich denn dann?«
    Wieder stieß ich meinen warmen Atem aus. Dieses Mal lächelte das Mädchen, aber es war nicht sehr tröstlich.
    DU BIST WIE ICH.
    In diesem Moment hörte ich ein entsetztes Keuchen hinter mir, und als ich mich umdrehte, sah ich meine Mutter im Türrahmen stehen. Ihr Gesicht war noch weißer als der Raureif.
    »Bianca! Komm hierher! Geh weg von diesem Ding!«
    »Ich …« Meine Worte brachen ab; meine Kehle war zu trocken zum Sprechen. Ich schluckte krampfhaft. »Ich denke, es ist alles in Ordnung.«
    »Adrian!« Mom rannte weg und brüllte nach Dad. Ihre Schritte hallten im Flur.
    Der Geist zog sich zurück. »Warte … Geh nicht!« Ich presste die Hände noch auf das Glas, selbst als die Scheibe schon längst wieder zugefroren war und die letzten Worte, die das Mädchen geschrieben hatte, verschwunden waren. Hektisch rieb ich über das Glas und versuchte, klare Sicht zu bekommen, um nachschauen zu können, ob es noch immer da draußen war. Aber alle Wärme schien aus meinen Händen gewichen zu sein, und das Eis wollte nicht mehr so rasch schmelzen. Als ich endlich doch wieder hinausgucken konnte, war das Mädchen fort.
    Mom und Dad stürzten ins Zimmer, die Augen weit aufgerissen. Mein Vater knurrte. »Wo ist der Geist?«
    »Weg. Ich denke, es ist alles in Ordnung.«
    Mom starrte mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. »In Ordnung? In Ordnung? Dieses Ding ist hierhergekommen, um dir etwas anzutun, Bianca.« Ihre Augen hatten einen gehetzten Ausdruck. »Vor einigen Monaten wusstest du noch nicht einmal, dass Geister mehr sind als das, was du aus Kindergeschichten kennst. Und jetzt bist du schon eine Expertin, ja?«
    Mein Vater drückte meine

Weitere Kostenlose Bücher