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Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung

Titel: Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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Fechtraum.
    Im eigentlichen Unterricht kamen wir nur langsam voran, jedenfalls kam mir das so vor: Erst vor Kurzem hatten wir damit begonnen, Schwerter statt Stöcke zu benutzen, und unser »Kampf« bestand zumeist darin, dass wir zweimal die Schwerter gegeneinanderschlugen, ehe der Lehrer unterbrach und erklärte, was wir alles falsch gemacht hatten. Trotzdem bemerkte ich, dass meine Armmuskeln kräftiger geworden waren - jedenfalls hatte ich weniger Schmerzen nach den Stunden -, und mein Gleichgewichtssinn verbesserte sich. Als Balthazar und ich uns allein im Fechtraum gegenüberstanden, in Weiß gekleidet, die Gesichter hinter Stahlmasken verborgen, fiel mir auf, wie sehr ich die Gelegenheit genoss, mich auszuprobieren. Nicht, dass ich gegen Balthazar irgendeine Chance gehabt hätte, aber dieses Mal konnte ich spüren, dass meine Reaktionen die richtigen waren und dass die Muskeln in meinem Körper den Bewegungen gehorchten, als hätten sie schon die ganze Zeit gewusst, was sie zu tun hätten, und nur darauf gewartet, dass mein Geist endlich aufholte.
    Lange Zeit war kein Geräusch im Raum zu hören außer meinem Keuchen, dem Tappen unserer Füße auf der Matte und dem Klirren von Stahl auf Stahl.
    Nachdem mich Balthazar zum dritten Mal entwaffnet hatte, legten wir eine Pause ein, zum Teil, weil ich geschafft war, zum Teil, weil ich sehen konnte, dass Balthazar endlich bereit war, mit mir zu reden.
    Ich wischte mir das verschwitzte Gesicht an meinem Handtuch ab. »Bei dir scheint es gut zu laufen«, sagte ich. »Nicht beim Fechten … Da natürlich auch, aber ich meine so ganz generell.«
    »Vielleicht hasst Charity mich in genau diesem Augenblick.« Balthazars Worte waren bedächtig, als hätte er sie schon sehr oft vor sich hin gesprochen. Er saß auf einer der Bänke, die an den Wänden des Unterrichtsraumes standen, und nahm seine Maske ab. »Das macht es für mich nur noch wichtiger, sie wiederzufinden. Es kann lange dauern, bis ich zu ihr durchdringe, aber ich kann es schaffen.«
    »Bist du dir da sicher?«
    »Ja.«
    »Hast du daran gedacht, was es bedeutet, wenn wir uns irren?«
    Die Erinnerung an Charitys süßes, unschuldiges Gesicht ließ den bloßen Gedanken absurd erscheinen, aber ich wollte vollkommen sichergehen: »Wenn Charitys Clan Menschen tötet und sie mit ihnen herumhängt …«
    »Ich bin mir sicher, dass Charity damit nichts zu tun hat. Und ich weiß, dass auch du im Grunde davon überzeugt bist. Aber wenn das Schwarze Kreuz sicher sein will, wird es Charity mitsamt dem Clan unschädlich machen«, sagte Balthazar. »Sie wäre nur eine weitere Tote, die ebenso wenig zählt wie die anderen. Vielleicht glaubt Lucas das nicht, aber ich weiß, dass du es tust.«
    Ich wusste nicht, was mich mehr traf - Balthazars unerschütterliches Vertrauen in seine Schwester oder meine Unsicherheit, was ich noch glauben sollte. Ich setzte mich neben ihn und bemerkte beiläufig, dass mein Bild im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand scharf und gestochen war, während das von Balthazar verschwommen wirkte. Er musste seit ein oder zwei Tagen schon nichts mehr gegessen haben. »Balthazar, du hast sie seit mehr als fünfunddreißig Jahren nicht gesehen. Sie hat sich einer völlig neuen Vampir-Gang angeschlossen, und zwar einer, die gefährlich zu sein scheint. Wie kannst du dir da so sicher sein, dass sie sich nicht ebenfalls verändert hat?«
    Seine Augen waren traurig. »Wir verändern uns nicht, Bianca. Das ist das Tragische an dem, was wir sind. Das gehört dazu, wenn man tot ist.«
    Mein Herz pochte tröstlich schnell und kräftig in meiner Brust.
    Ich bin lebendig , dachte ich. Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin noch immer am Leben.

17
    »Othello hätte sie nicht töten sollen, auch wenn er glaubte, dass sie ihn betrügt.« Ich konnte es nicht fassen, dass ich diese Frage diskutieren sollte. Nahmen alle Vampire das Töten derart auf die leichte Schulter? »Er tat nicht Unrecht, weil Desdemona unschuldig war. Er tat Unrecht, weil er glaubte, er hätte das Recht, seine Frau zu töten.«
    »Das war bestimmt nicht Shakespeares Meinung.« Courtney warf ihr blondes Haar über die Schulter. »Zu seiner Zeit hatten die Frauen, tja, einfach überhaupt keine Rechte. Ist doch so, oder?«
    Untypischerweise ergriff Mrs. Bethany für niemanden Partei und lief auch nicht im Klassenzimmer auf und ab. Stattdessen beobachtete sie uns von ihrem Schreibtisch aus, scheinbar unbeteiligt, aber doch amüsiert. »Der Stand der

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