Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
es schon wusste, und ich fürchtete mich davor, ihm sagen zu müssen, dass ich Zeugin beim Mord an Eduardo geworden war. »Deine Mutter – wie geht es ihr?«
»Es hat sie schwer getroffen.« Er starrte in die Ferne, wo bei Tageslicht der Horizont zu sehen war.
Der Schock verhinderte, dass ich das ganze Gewicht meiner Schuld spürte. Es tat mir leid, dass Eduardo getötet worden war, aber das war auch schon alles, was ich empfinden konnte. Lucas hatte Eduardo sogar noch weniger leiden können als ich, und doch war er beinahe gramgebeugt von der Schwere des Verlustes. Es war nicht seine Trauer, die ihn schmerzte, es war Kates. Seine Mutter hatte den Mann verloren, den sie liebte, und verglichen damit war es ziemlich gleichgültig, welche Gefühle ihm entgegengebracht wurden.
Ich nahm ihn fest in die Arme. »Geh zurück zu deiner Mom«, flüsterte ich. »Sie braucht dich.«
Lucas legte seine Hände rechts und links auf meinen Kopf und küsste mein Haar. »Gott sei Dank, dass du okay bist. Ich dachte, sie wären deinetwegen gekommen«, murmelte er.
Es war mein Fehler gewesen, der ihnen den Angriff ermöglicht hatte. Ich würde es Lucas irgendwann gestehen müssen, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. »Mir geht es gut.«
Er fuhr mir mit den Fingern durch mein Haar, umarmte mich noch einmal und ging dann wieder zurück zum Schuppen, zu Kate. Ich blieb stehen, wo ich war, und Raquel kam zu mir. »Du hast es geschafft.«
»Du auch.« Ich zuckte zusammen, als mein Blick auf ihr Gesicht fiel. »Du bekommst ein blaues Auge.«
»Ich habe dieses Mal richtig gekämpft«, sagte Raquel. Trotz der Niedergedrücktheit bei praktisch allen um uns herum, lag in ihren Augen ein wildes Funkeln von Energie. »Ich habe zurückgeschlagen. Es hat sich … toll angefühlt.«
»Das freut mich.«
»Du siehst auch nicht so richtig ansehnlich aus, weißt du?«
Ich musste von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt sein. Nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte. »Mit Dana ist auch alles in Ordnung, oder?«
»Ja. Sie ist bei ein paar anderen und hilft ihnen, den Gefangenen herzubringen.«
»Den Gefangenen?« Der Klang des Wortes gefiel mir gar nicht.
Genau in diesem Augenblick kam einer der Kleinbusse des Schwarzen Kreuzes mit lautem Geheul auf uns zugejagt, und die Scheinwerfer waren so hell, dass sie mich blendeten. Raquel und ich hoben beide die Hände, um unsere Augen abzuschirmen. Ich murmelte: »Ich schätze, das Parkhaus hat nichts abgekriegt.«
Dana steckte den Kopf aus dem Bus. »Wohin sollen wir ihn bringen?«
»Wir fragen lieber Eliza«, sagte Raquel, ehe sie davonstürmte, um genau das zu tun.
Ich lief zu Dana. »Willst du damit sagen … du hast den Gefangenen bei dir?«
»Klar, heute bin ich der lange Arm des Gesetzes.« Sie versuchte zu lächeln, aber es war wenig überzeugend. Ich hatte das Gefühl, dass Dana die Sache mit dem gefangenen Vampir genauso wenig gefiel wie mir. »Er ist gerade nicht bei Bewusstsein, aber wenn er aufwacht, steht ihm eine ganz schöne Überraschung bevor.«
Sie drehte sich halb zur Seite, sodass ich einen Blick ins Wageninnere werfen konnte. Ich riss die Augen auf. Die zusammengekrümmte Gestalt eines jungen Mannes lag auf dem Boden des Busses. Beide Hände waren fest hinter seinem Rücken zusammengebunden, und alles sah viel zu vertraut aus. Ich beugte mich weiter vor, und Entsetzen überrollte mich, als ich ihn erkannte.
Balthazar.
8
Balthazar, meine Verabredung für den Herbstball, der Junge, der mich ungezählte Male gefahren hatte, damit ich mich mit Lucas treffen konnte, mein Freund und beinahe mein Geliebter, lag ohnmächtig vor mir auf dem Boden des Busses, ein Gefangener des Schwarzen Kreuzes. An den Füßen und den Handgelenken war er mit Ketten gefesselt. Selbst seine Vampirkräfte würden ihm nicht zur Flucht verhelfen. Ich bezweifelte, dass ihm das Schwarze Kreuz viel Gelegenheit zur Erholung lassen würde. Er war ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Im Laufe des vergangenen Monats hatte ich mich selbst oft genug als Gefangene gefühlt, aber erst jetzt sah ich, wie viel schlimmer es werden konnte.
»Wohin…« Meine Stimme versagte. »Wohin bringt ihr ihn?«
»Milos sagt, dass sie einige Zufluchtsorte in der Stadt in Reserve haben. Wir werden ihn zu einer dieser Unterkünfte schaffen.« Ein halbmondförmiger Schnitt beinahe in der Mitte von Danas Stirn belegte die Tatsache, dass sie gerade eben noch um ihr Leben gekämpft hatte. »Die Gruppe wird sich
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