Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
Straßen, während ihre Scheibenwischer in dumpfem Stakkato gegen die Fluten ankämpften. Um uns herum entdeckte ich vor allem Bürogebäude, Hotels und Läden. Das bedeutete, dass der Vampir jeden Augenblick irgendwo hineinhuschen konnte.
Was mache ich denn jetzt ?, überlegte ich. So zu tun, als ob ich ihn in der Menge aus den Augen verlieren würde, hatte wenig Zweck, denn Raquels scharfer Blick war stur auf ihn geheftet. Der Vampir mit den Dreadlocks bog in eine quer verlaufende Straße ein und betrat ein Gebäude, dessen Eingang beinahe verstohlen zwischen zwei riesigen Schaufenstern lag.
Raquel holte ihr Handy heraus. »Ich rufe Dana an.«
»Nein, tu das nicht.«
»Bianca, bist du verrückt geworden? Das ist ein Vampir. Vermutlich sind wir auf einen Vampirunterschlupf gestoßen. Wir brauchen Unterstützung.«
»Wir wissen doch gar nicht, was da drin sonst noch los ist.« Das war ein schwacher Versuch, aber mir fiel auf die Schnelle nichts anderes ein. Als Raquel Danas Nummer eintippte, eilte ich einige Schritte voraus, um die Tür genauer in Augenschein zu nehmen. Im Vorraum konnte ich Klingeln mit Namensschildern daneben sehen.
Da schwang die Glastür auf, und eine Hausbewohnerin – eine erschreckend dünne Frau, nur ein paar Jahre älter als ich – kam heraus. Sie warf mir einen etwas abwesenden Blick zu, als sie mir die Tür aufhielt. Vermutlich ging sie davon aus, dass ich ebenfalls hier wohnte, und ihre einladende Geste beruhigte den Portier, der einfach weiter seine Zeitschrift las. Rasch trat ich ein und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
Raquels Gesicht erschien auf der anderen Seite der Glastür. »Was machst du da?«
»Ich sehe mich ein bisschen um, okay? Du bleibst hier, um Hilfe zu holen, wenn wir welche brauchen.«
»Also im Ernst, du musst warten.«
Ich ignorierte Raquel und hastete zum Fahrstuhl. Goldene Kreise, die nacheinander aufleuchteten, zeigten den Weg des Lifts nach oben an. Okay, das wird mir helfen . Sobald ich sah, wo er hielt, konnte ich ebenfalls in das Stockwerk fahren und versuchen, mit meinem empfindlichen Vampir-Gehör herauszufinden, wohin der Vampir verschwunden war.
Doch da hörte ich ein Flüstern. »Du da.«
Ich erstarrte. In einem winzigen Kabuff am Ende der Eingangshalle, ganz in der Nähe einer Seitentür, wie es aussah, stand der Vampir. Sein Körper war angespannt, beinahe zusammengekrümmt, und seine strahlenden, blauen Augen fixierten mich.
»Du bist eine von uns«, sagte er mit einem Akzent, der mich auf Australien tippen ließ. »Was hast du denn mit dem Schwarzen Kreuz zu schaffen?«
»Das ist eine lange, lange Geschichte.« Wenigstens wusste er, dass er verfolgt wurde. »Sie haben es auf dich abgesehen. Du musst hier erst mal verschwinden.«
»Ich habe diesen Platz hier doch gerade erst aufgetan. Hast du eine Ahnung, wie schwer es ist, auf der East Side einen Unterschlupf zu finden?«
»Wenn du jetzt verschwindest, werden sie nach einigen Tagen nicht mehr damit rechnen, dass du wieder zurückkommen könntest. Sie glauben nicht, dass wir … ein Zuhause, Freunde oder sonst etwas in der Art haben.« Die Bitterkeit in meiner Stimme überraschte mich selbst: Ich hatte gedacht, ich hätte meinen Frieden mit unserer Situation beim Schwarzen Kreuz gemacht, wenigstens für den Augenblick, doch die aufgestaute Anspannung drohte, sich Bahn zu brechen. »Du musst dich einfach für einige Tage von hier fernhalten. Bleib bei jemandem, den du kennst.«
»Du meinst, ich soll in den Sommerurlaub fahren, ja?«, sagte er, als wollte er sich über mich lustig machen. Aber warum sollte er das tun, wo ich doch versuchte, ihn zu retten? Als er lächelte, entschied ich, dass ich etwas in den falschen Hals bekommen hatte.
»Du bist eines unserer Babys, nicht wahr?«
»Ja.« Ich erwiderte das Lächeln. Es tat mir so gut, als das erkannt zu werden, was ich war, und einige Augenblicke lang das Gefühl zu haben, es sei keine große Sache, eine Vampirin zu sein. Einen Moment lang vermisste ich sogar die Evernight-Akademie.
»Hey, Schwester, ich heiße Isabel«, flötete der Vampir mit piepsiger Stimme, fügte aber gleich darauf in normalem Ton hinzu: »Spaß beiseite, mein Name ist Shepherd. Was meinst du, haben wir noch zehn Minuten? Ich würde gerne ein paar Sachen zusammenraffen, ehe ich abhaue.«
»Vielleicht. Sie wissen nicht, wo du dich im Gebäude aufhältst, auch wenn sie Mittel und Wege haben, dir auf die Spur zu kommen …«
»Wir beeilen uns,
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