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Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts

Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts

Titel: Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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okay? Du hilfst doch einem Kumpel in der Not, oder?«
     
    Mit dem Fahrstuhl fuhren wir in den neunten Stock. Den ganzen Weg hinauf hielt ich den Atem an und rechnete jeden Augenblick mit einem Anruf von Raquel oder damit, dass die Jäger des Schwarzen Kreuzes uns schon vor der Lifttür erwarteten. Aber alles lief gut, und ich folgte Shepherd zu seiner Wohnung. »Dir bleibt wirklich nur Zeit, das Allernötigste zusammenzupacken«, sagte ich. »Kleidung, Bargeld und welchen Personalausweis auch immer du gerade als deinen eigenen ausgibst.«
    »Glaub mir«, antwortete Shepherd, »ich habe verstanden, dass die Zeit drängt.«
    Ich betrat sein Apartment, bereit, ihm beim Zusammensuchen seiner Sachen zu helfen – und mein Blick fiel auf Charity.
    Sie saß mit gekreuzten Beinen auf einem weißen Ledersofa und rauchte mit konzentriertem Gesichtsausdruck eine Zigarette. Shepherd fragte: »Ist das die Richtige? Die, die du vor einigen Tagen gesehen haben willst?«
    »Ja«, sagte Charity mit weicher Stimme. »Das ist sie.«
    »Renn nicht weg«, ergänzte sie in der halben Sekunde, ehe ich fliehen wollte. »Wir haben so viel zu besprechen. Und wir können uns nicht unterhalten, während wir dir nachjagen.«
    So gefährlich es auch war zu bleiben – ich hielt es für noch riskanter, wegzulaufen. Wenn ich zu entkommen versuchte, würden Charity und ihr Freund mich mit Sicherheit einholen; wenn ich jedoch mit ihr sprach, gab es immerhin die Chance, dass ich in Sicherheit war. Trotz all der entsetzlichen Dinge, die Charity getan hatte, hatte sie noch nie versucht, mich zu verletzen. Also blieb ich. »Was machst du in New York?«, fragte ich.
    »Mein Bruder wird vermisst. Er ist Mrs. Bethany auf einem ihrer törichten Feldzüge gefolgt. Ich schätze, er versucht, dich aufzuspüren.«
    Ich drehte mich zu Shepherd um und schämte mich für meine eigene Dummheit. »Ich habe versucht, dich zu retten.«
    »Nur zu deiner Information«, antwortete er, »der Feind deines Feindes ist nicht automatisch dein Freund.«
    Ich schaute mich unauffällig um. Charitys Wohnung sah aus, als wäre es hier noch vor Kurzem schön und behaglich gewesen, aber als hätte jemand mehrere Tage lang nicht aufgeräumt. Der weiße Teppichläufer war mit Fußabdrücken und Zigarettenstummeln übersät, und in einer Ecke waren rostigrote Blutspuren zu erkennen. Ein großer Fernseher hing schief an der Wand, als habe man ihn zum Teil aus der Verankerung gerissen. Ein übelkeiterregender, süßlicher Geruch hing in der Luft, und ich begriff, dass hier vor gar nicht langer Zeit ein Mensch gestorben war. Charity hatte sich die Wohnung mit Gewalt angeeignet.
     
    Sie selbst war nicht in viel besserer Verfassung als die Wohnung. Ihre weißgoldenen Locken schienen in letzter Zeit nicht gewaschen worden zu sein. Sie trug nur einen lavendelfarbenen Seidenslip mit beiger Spitze, der einmal hübsch gewesen sein musste, als er neu und sauber war. Nun war er fleckig und fadenscheinig und offenbarte schmerzhaft schonungslos, wie jung ihr Körper war. Sie war erst vierzehn gewesen, als sie starb.
    Ich versuchte mit aller Macht, meine Stimme fest klingen zu lassen, als ich sagte: »Balthazar geht’s gut. Das kann ich dir versprechen.«
    »Bist du sicher? Ganz sicher?« Charity sprang vom Sofa auf, und ihr kindliches Gesicht leuchtete voller Hoffnung. Selbst jetzt, wo ich wusste, wie verrückt sie war und wie rachsüchtig sie sein konnte, wollte ein Teil von mir sie beschützen – dieses zart wirkende Mädchen mit den großen Augen, das so verängstigt und einsam wirkte.
    Aber um Balthazars, nicht um meinetwegen, sagte ich: »Ja. Er ist verletzt worden, aber er erholt sich. Er ist jetzt an einem sicheren Ort. Ich habe ihn erst vor zwei Tagen gesehen, und ich denke, er wird alles gut überstehen.«
    »Vor zwei Tagen.« Charity stieß einen Seufzer tiefster Erleichterung aus, dann schob sie ihr Gesicht beängstigend nahe vor meines. Zuerst glaubte ich, dass sie mich küssen wollte, was schon seltsam genug gewesen wäre, doch dann sog sie so tief die Luft ein, dass sich ihr ganzer Körper versteifte. »Ja. Es stimmt. Ich kann ihn noch immer an dir riechen. «
    »Okay.« Das Schwarze Kreuz ließ uns gerade mal drei Minuten Zeit unter der Dusche. Ich hatte gedacht, das würde reichen, um mich vernünftig zu säubern, aber jetzt war ich verunsichert.
    Charity griff nach meinen Händen – nicht drohend, sondern wie um sich selbst zu beruhigen. »Wo befindet er sich jetzt?«
    Ich

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