Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
darüberzubreiten, die gegen die leichte Kühle hier unten helfen würden. Die Wände waren dunkelgrün gestrichen, und als wir fertig waren, glaubte ich, dass es in ganz Philadelphia kein Apartment gab, das so schön war wie unseres. Was machte es da schon, dass sich an den Wänden Flaschen türmten?
Es hatte den Anschein, als wenn sich am Ende alles fügen würde. Unsere Freunde hatten uns bislang geholfen, und nun hatten wir auch noch Jobs, was bedeutete, dass wir ihnen das geliehene Geld würden zurückzahlen können. Wir waren Mrs. Bethany und dem Schwarzen Kreuz entkommen. Der einzige Geist weit und breit war entweder friedliebend oder wollte jedem Obsidian aus dem Weg gehen. Ich konnte nicht glauben, wie gut alles gerade lief und wie richtig es sich anfühlte.
Zweimal jedoch trübten leichte Schatten meine Stimmung.
Beim ersten Mal aßen Lucas und ich Abendbrot – Pizza aus einem kleinen Eckrestaurant ganz in der Nähe. Lucas hatte sie mit nach Hause gebracht, und wir aßen sie von unserem »neuen« Geschirr. Während ich darüber nachsann, wie ich es im Badezimmerwaschbecken spülen sollte, dachte ich plötzlich an die köstlichen Mahlzeiten, die meine Mutter immer für mich zubereitet hatte. Oh, ob es wohl ein Rezept für diesen Limonadenkuchen gibt ? Man muss ihn nicht im Ofen backen, und an einem heißen Tag wie diesem wäre er perfekt.
Dann erinnerte ich mich daran, dass ich Mom nie würde fragen können. Ich wunderte mich ohnehin, wie sie es fertiggebracht hatte, so viele Gerichte so lecker zuzubereiten; Vampire konnten Essen nicht richtig schmecken, jedenfalls nicht so wie die Menschen. Es musste schwer für sie gewesen sein.
Ich werde ihr bald schreiben , schwor ich mir. Vielleicht werde ich Vic eine Nachricht mitgeben, wenn er nach Evernight zurückkehrt, und er könnte behaupten, ich hätte sie ihm von irgendwoher gemailt. Auf diese Weise werden sie wissen, dass mit mir wirklich alles in Ordnung ist.
Das zweite Mal war spät am Abend, als wir die DVDs durchgingen. Die Wände waren kahl, und ich dachte kurz darüber nach, wie schön es wäre, etwas aufzuhängen – nichts Großartiges, denn wir wollten ja keine Löcher hinterlassen, aber vielleicht konnten wir wenigstens eine Zeichnung ankleben.
Und das ließ mich an Raquels Kollagen denken, an diesen verrückten Mischmasch aus Farben und Bildern, die sie so gerne zusammenfügte. Sie war immer so stolz gewesen, wenn sie sie mir gezeigt hatte. Nun hasste sie mich derartig, dass sie mich an die Leute ausgeliefert hatte, von denen sie wusste, dass sie mich würden töten wollen.
Ich hätte wütend auf sie sein sollen. Aber es tat viel zu weh, als dass ich Zorn verspüren konnte. Es war eine Wunde, von der ich wusste, dass sie nie verheilen würde.
»He.« Lucas runzelte besorgt die Stirn. »Bedrückt dich irgendetwas?«
»Raquel.«
»Ich schwöre bei Gott, wenn ich sie je in die Finger kriege …«
»Du wirst ihr nichts tun«, sagte ich. Dann biss ich mir auf die Lippen, um nicht anzufangen zu weinen. Sollte doch Raquel über mich denken, was sie wollte; ich liebte sie, und egal, was geschehen war, daran würde sich nichts ändern.
Alles schien also fantastisch – bis zum nächsten Tag. Dies war der Beginn unserer Jobs. Ich hatte noch nie zuvor gearbeitet, noch nicht einmal babygesittet; Mom und Dad hatten immer gesagt, dass Kindern Dinge auffielen, die älteren Menschen entgingen, und dass Vampire so wenig Zeit wie möglich mit ihnen verbringen sollten.
Das hieß, ich hatte keine Ahnung, wie ätzend das Arbeiten war.
»Tisch Acht hat noch keine Getränke!«, brüllte Reggie, mein sogenannter Schichtführer im Hamburger Rodeo , der ungefähr vier Jahre älter war als ich. Er hatte das gleiche boshafte Glitzern in den Augen wie viele der typischen Evernight-Vampire, aber im Gegensatz zu ihnen verfügte er nicht über entsprechende Macht – nur über ein laminiertes Namensschild, auf dem Manager stand. »Wo ist das Problem, Bianca?«
»Ich bringe sie ihnen!« Ein alkoholfreies Bier, eine Cola und was noch mal? Ich zog meinen Block aus der Schürze; sowohl das Papier als auch die Schürze hatten bereits Flecken von Salatsoße abgekriegt.
Nach einer einstündigen Einführung am Morgen, was offenbar als Vorbereitungszeit nicht einmal annähernd ausreichend war, war ich mitten ins Mittagsgeschäft geworfen worden. Eilig schaufelte ich Eis in die Plastikgläser und bediente die Sprudelmaschine. Schneller, schneller, schneller
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