Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
möglicherweise ein Freund meiner Eltern gewesen war. Ich hatte ihn nicht erkannt, aber wer auch immer es gewesen war, er war in dem Glauben hierhergekommen, mir zu Hilfe zu eilen.
»Wie um alles in der Welt hast du das gemacht?«, fragte Raquel Lucas. »Das war … irgendwie übermenschlich.« Sie meinte das als Kompliment, und zum Glück war der Jäger vom Schwarzen Kreuz viel zu erschöpft und erleichtert, um zu bemerken, dass Lucas gerade seine Vampirfähigkeiten eingesetzt hatte.
Ich suchte Lucas’ Blick und war froh, keinen Triumph darin zu entdecken, nur ein Flehen um Verständnis. Wenn er gezwungen war, sich zu entscheiden, dann musste er seinen Jäger-Kameraden beschützen. Das hatte ich begriffen. Was geschehen wäre, wenn dieser Vampir meine Mutter oder mein Vater gewesen wäre, war mir allerdings nicht klar.
Eduardo beugte sich durch die offene Tür herein, keuchte, schien vom Kampf jedoch in allerbeste Stimmung versetzt worden zu sein. »Wir haben sie zurückgedrängt. Wird aber wohl nicht lange dauern, bis sie wiederkommen. Wir müssen sofort die Sachen einladen.«
»Und wo soll es hingehen?«, fragte ich.
»An einen Ort, an dem wir richtig trainieren können. An dem wir euch Neulinge in Form bringen können.« Eduardo starrte mich bei dieser Antwort unverwandt an, und obwohl sein Blick nicht freundlich war, sah er … nun ja, so aus, als ob er mich ein bisschen weniger hasste. Nun, da ich eine potenzielle Soldatin war, hielt er mich am Ende vielleicht doch für nützlich. Aber dann änderte sich sein Grinsen und wurde zynischer, als er sich an Lucas wandte: »Beim nächsten Mal wirst du keinen Grund mehr haben, dich um den Kampf zu drücken.«
Lucas sah aus, als würde er Eduardo am liebsten einen Schlag ins Gesicht versetzen, und ich griff rasch nach seiner Hand. Manchmal drohte sein Temperament, mit ihm durchzugehen.
»Los, Leute!«, rief Kate von draußen. »Auf geht’s.«
3
Innerhalb von zwanzig Minuten hatten sich alle in die schrottreife Armada von alten Lkws, Lieferwagen und Autos des Schwarzen Kreuzes gezwängt. Lucas und ich sorgten dafür, dass wir in dem Lieferwagen landeten, den Dana fuhr, und Raquel saß auf dem Klappsitz. Auf der Ladefläche türmte sich die Ausrüstung der Gruppe, sodass wir drei während der Fahrt unter uns sein würden.
»Wohin sind wir denn überhaupt unterwegs?«, schrie ich Dana über den Lärm aus dem plärrenden Autoradio hinweg zu.
Dana gab Gas, um sich dem Konvoi anzuschließen. »Warst du schon mal in New York City?«
»Du nimmst mich auf den Arm, oder?« Aber es war vollkommen ernst gemeint. Lucas warf mir einen verwirrten Blick zu, als könnte er überhaupt nicht verstehen, warum ich unser Ziel seltsam fand. Ich versuchte, es ihm zu erklären. »Ihr Typen lauft mit diesen Waffen herum und zieht los, um Vampire anzugreifen. In einer so großen Stadt … Du weißt schon … Fällt denn da niemandem etwas auf?«
»Oh«, sagte Dana. »Sie war wohl noch nie in New York.«
Raquel lachte, während sie den Takt des Liedes auf dem Armaturenbrett mittrommelte. »Du wirst es lieben, Bianca«, versprach sie. »Meine Schwester Frida nahm mich früher immer einmal im Jahr nach New York mit. Da gibt es diese ganzen verrückten Galerien, in denen sie so irre Werke zeigen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie einem so etwas einfällt.«
»Wir werden wohl nicht viel Zeit für Museumsbesuche haben«, sagte Dana. Raquel kam aus dem Takt, aber nur für einen kurzen Moment. Kaum dass der Refrain einsetzte, trommelte sie lauter als zuvor den Rhythmus mit.
»Es kommt mir trotzdem seltsam vor«, sagte ich zu Lucas. »Wie sollen wir denn da überhaupt eine Bleibe finden?«
Er antwortete: »Wir haben Freunde in New York. Eine der größten Zellen des Schwarzen Kreuzes weltweit ist dort zu Hause, und sie haben ein ziemlich großes Netzwerk von Unterstützern.«
»Mit anderen Worten«, versuchte Dana die Musik zu übertönen, »die Typen leben da wie die Maden im Speck.«
Ich versuchte, scherzhaft zu klingen: »Was denn, leben sie in Penthäusern?«
»Nicht ganz«, sagte Lucas. »Aber du solltest mal ihre Waffenarsenale sehen. Ich schätze, es gibt ganze Armeen, die auch nicht annähernd mit der Feuerkraft dieser New Yorker Zelle ausgestattet sind.«
»Wie kommt es, dass die New-York-Zelle derartig groß ist?«, fragte ich. Obwohl unsere Lage so ernst war, spürte ich, wie mir mit jeder Meile, die wir zurücklegten, leichter ums Herz wurde. Es war ein gutes
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