Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
Ich dachte an Lucas und sank auf die Knie. Die kaputten Fliesen rissen meine Haut auf, und ich legte meine Hand über das Korallenarmband, das letzte Unterpfand unserer Liebe, das Lucas mir geschenkt hatte. »Bitte, Charity. Bitte nimm mir das Leben.«
»Na also«, sagte Charity. »Das war doch gar nicht so schwer, oder?« Sie lächelte mich strahlend an, und ihre Reißzähne waren bereits gewachsen. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern.
»Nein«, schrie Lucas. »Nicht, Bianca, du kannst kämpfen. Vergiss mich.«
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah zur metallenen Decke empor. Träge wehten Spinnweben hin und her wie bösartige Wolken. Ich streckte Charity meine entblößte Kehle entgegen, und ich wusste, dass dies das Ende meines Lebens war.
Ich werde jetzt eine Vampirin , dachte ich. Bitte lass meine Eltern recht haben. Bitte lass es nicht so schlimm sein.
Als Charity ihre Hand an meine Kehle legte, sah ich ein seltsames Flackern in den Dachsparren. Es war, als spiegelte sich das Licht im Wasser des Schwimmbeckens, um dann auf dem Holz zu schimmern, nur dass es gar kein Wasser im Pool gab!
Ich riss die Augen auf.
»Es wird kaum wehtun«, versprach Charity. »Wirklich nicht.«
Das blaugrüne Licht wurde heller und breitete sich aus, überzog die gesamte Decke und wurde zu etwas, das aussah wie Wolken. Ein eiskalter Luftzug umwehte mich und verwandelte die Sommernacht in Winter. Ich zitterte.
»Charity!«, schrie Shepherd. »Was ist das?« Inzwischen starrten alle Vampire nach oben, und selbst Lucas hatte aufgehört zu strampeln.
Charity keuchte. »Oh, das würden sie nicht wagen. Das würden sie niemals wagen.«
Eisregen begann niederzugehen – erst nur hie und da, dann aber mehr und immer mehr. Scharfkantige Hagelkörner stürzten herab, rissen an meiner Haut und prasselten auf den Boden. Charity löste sich von mir; ich erhob mich und wünschte, ich hätte davonrennen können. Vielleicht hätte ich fliehen können, aber ich konnte Lucas nicht zurücklassen, nicht einmal jetzt – nicht einmal während eines Angriffs der Geister.
Der Eisregen wurde dichter, ein silbriger Vorhang ließ uns alles nur noch verschwommen wahrnehmen und Charity vor Schmerz aufschreien. Der Hagelschlag war so heftig, dass es wehtat. Ich zuckte zusammen, und dann schnappte ich ungläubig nach Luft, als der silbrige Vorhang sich verdichtete, Gestalt annahm und sich ein Gesicht aus dem Eis herausschälte. Obwohl der Hagel weiter zu Boden fiel, blieben das Gesicht und die Gestalt unverändert.
Und was noch schockierender war: Ich erkannte den Geist. Es war der erste von ihnen, der je mit mir gesprochen hatte. Sein langes, dunkles Haar hing offen herab, und er hatte einen Bart. Auch wenn seine Kleidung nur undeutlich zu erkennen war, wirkten der lange Mantel und die hohen Stiefel altmodisch auf mich, als stammten sie aus einem früheren Jahrhundert. Der Frostmann, dachte ich. Das war der einzige Name, den ich je für ihn gehabt hatte.
Mit einer Stimme, die wie berstendes Eis klang, sagte er: »Dieses Mädchen gehört euch nicht.«
»Sie ist mein. Das ist sie!« Charity stampfte mit dem Fuß auf. »Du hast sie gehört! Sie hat gesagt, sie will sich uns anschließen. «
Er legte seinen Kopf schräg, neugierig und voller Verachtung, und dann holte er aus und rammte Charity die Faust in den Leib.
Sie öffnete den Mund, als wollte sie schreien, aber es kam kein Laut heraus. Ihr ganzer Körper veränderte seine Farbe und nahm das gleiche helle Blau an wie der Geist. Ich begriff, dass er sie einfror, und ganz offensichtlich konnten selbst Vampire zu Tode frieren.
Charity riss den Kopf hoch und kreischte: »Nein!« Sie zog sich zurück, was sie all ihre Kraft zu kosten schien, und es gelang ihr, aus der Reichweite der Faust des Frostmannes zu gelangen. Es gab kein Blut. Sie stolperte und brüllte: »Raus hier. Alle raus hier!«
Bei diesen Worten warf Shepherd Lucas vom Sprungbrett.
Ich schrie und streckte vergeblich die Arme nach ihm aus, während er durch die Luft trudelte. Doch in diesem Moment erschien das blaugrüne Licht im Becken, was mehr denn je nach Wasser aussah, und es verlangsamte Lucas’ Fall. Trotzdem schlug er auf dem Grund auf, aber nicht so hart, wie es sonst der Fall gewesen wäre, und ich konnte sehen, wie er gegen seine Fesseln ankämpfte. Anscheinend war er unversehrt.
Der Geist hat ihn gerettet , dämmerte mir. Der Geist hat mich gerettet.
Es blieb keine Zeit zum Staunen. Ich musste Lucas
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