Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
holen.
Ich hastete zur Leiter und kletterte durch das blaugrüne Licht hinunter. Es war kalt – kälter als Eis! – und doch tat es aus irgendeinem Grund nicht weh. Es fühlte sich eher wie Energiewellen an oder vielleicht auch wie Elektrizität, sodass schon die bloße Nähe gefährlich schien. Ich versuchte zu rennen, doch das Licht verlangsamte meine Schritte. Meine langen Haare wehten hinter mir her, beinahe so, als würde ich schwimmen. »Lucas!«, schrie ich.
Lucas schaffte es, seine Hände zu befreien, gerade als ich ihn erreichte. Gemeinsam rissen wir an den Fesseln um seine Fußknöchel.
»Ist es das, für was ich es halte?«, fragte er.
»Ja.« Endlich waren seine Beine frei. »Wir müssen verschwinden! «
Wir schoben uns durch die blaugrüne Energie in Richtung Leiter. Lucas hob mich hoch, sodass ich als Erste das Becken verlassen konnte. Als ich emporkletterte, sah ich den Frostmann, der mich anstarrte.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und so sagte ich: »Danke.«
»Du gehörst nicht ihr«, sagte er. »Du bist unser.«
Also durften sie mich töten, aber niemand sonst? Das war wenig tröstlich.
Lucas kletterte aus dem Pool. »Bianca, lauf! Na, komm schon!«
Wir rannten durch den silbergrauen Eisregen, der nun so heftig niederging, dass ich wusste, ich würde am nächsten Tag blaue Flecke haben. Die Geister versuchten nicht, uns aufzuhalten, oder falls sie es doch probierten, gelang es ihnen nicht. Lucas warf sich gegen die nächstbeste Tür und zog mich durch einen langen Flur, der den Schwimmbereich mit dem Rest des Gebäudes verband. Auch wenn es hier kalt war, gab es wenigstens kein Eis und kein übernatürliches Licht.
»Du!« Shepherd erschien am anderen Ende des Ganges, und Hals über Kopf bremsten Lucas und ich unseren Lauf. »Du hast das über uns gebracht!«
Lucas zerrte mich nach links. »Zur Seitentür. Na los!«
Ich sah keine Tür. »Wo denn?«
»Hatte gehofft, da wäre eine«, räumte Lucas ein.
»Oh, verflucht!« Ich konnte Shepherds Stiefel auf dem Boden hören: Er verfolgte uns. Anscheinend hatte er sich von den anderen Vampiren abgesetzt. Aber das bedeutete nicht, dass ich mich von ihm in die Ecke drängen lassen wollte.
Und dann fanden wir doch noch eine Tür, und wir stürzten in den dahinterliegenden Raum. Lucas schob einen Stuhl unter den Türgriff und schaute sich im Raum um. Im Grunde sah er aus wie der Beckenbereich: Überall lag Abfall herum, Lumpen und altes Papier türmten sich, halb leere Alkoholflaschen, Zigaretten und Feuerzeuge waren überall verstreut. Das schien mir nicht sehr vielversprechend. Lucas griff nach einer Flasche Wodka und einem fleckigen Halstuch. »Such nach einem Feuerzeug«, sagte er.
Ich nahm ein Plastikfeuerzeug von einem Fensterbrett in der Nähe. »Lucas, was machst du?«
»Bei diesem Teil der Ausbildung warst du wohl noch nicht da, was?« Er knotete das Halstuch um den Flaschenhals und stopfte das längere Ende des Stoffs in den Wodka.
Shepherd warf sich von außen gegen die Tür. Der Stuhl wackelte, und es war offensichtlich, dass die Tür nicht mehr lange halten würde. »Lucas, er ist hier!«
»Gut.« Lucas warf mir das Feuerzeug zu. Als Shepherd in den Raum platzte und uns bösartig anlächelte, setzte Lucas den Stoff in Brand und schleuderte die Flasche in Shepherds Richtung.
Alkohol ist entzündlich – wenn die Flamme die Flüssigkeit erreicht …
Lucas riss mich mit sich zu Boden, gerade als die Flasche explodierte. Ich hörte Shepherd schreien, und wahrscheinlich starb er; Feuer gehörte zu den wenigen Dingen, die einen Vampir töten können. Ehe ich sehen konnte, was geschah, brüllte Lucas: »Schütz deinen Kopf!«
Das tat ich. Lucas stand auf und warf einen Stuhl durchs Fenster. Glassplitter flogen in alle Richtungen, und ich konnte spüren, wie einige Scherben meine Kopfhaut aufritzten. Lucas packte meine Hand.
»Raus hier«, rief er. Das Feuer hinter uns breitete sich aus. Shepherds Schreie waren verstummt. Entweder war er entkommen oder tot.
Ich sprang durch das Fenster, zum Glück, ohne mich an den spitzen Scherben zu verletzen, die noch immer an den Ecken hervorstachen. Zu meiner Erleichterung sah ich den Wagen, den die Vampire benutzt hatten, um uns herzubringen. Er war nur wenige Meter entfernt geparkt, und niemand saß darin. Sie würden schon bald zurückkehren, um ihn zu holen, was bedeutete, dass wir ihnen zuvorkommen mussten. Es würde unsere Flucht beschleunigen und ihnen die Verfolgung
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