Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Titel und die Namen der Schauspieler, und die opulente Titelmusik schwoll an. Auch wenn es unten im Parkett noch andere Zuschauer gab, waren wir auf der Empore allein, und daher traute ich mich, meine körperhafte Gestalt anzunehmen. Lucas hatte mir meine Jetsteinbrosche in die Hand gedrückt, sodass mir der Übergang ganz leicht fiel. Ich steckte mir die Brosche an mein Hemd, und Lucas bot mir seinen Mantel an. So fiel es nicht auf den ersten Blick auf, dass das Mädchen neben ihm nur einen Schlafanzug trug.
Mir kam es komisch vor, so weit weg von der Schule zu sein, wo gerade derart viel passierte. Meine Eltern waren auf Mrs. Bethany angesetzt; wenn diese heute Nacht tatsächlich aufbrach, würden Mom und Dad vorher herausfinden müssen, wie lange sie fortzubleiben gedachte. Und falls sie keinerlei Anstalten machte, das Schulgelände zu verlassen, dann würden sie sich irgendetwas einfallen lassen müssen, um Mrs. Bethany wenigstens einen Tag lang vom Campus fortzulocken. In der Zwischenzeit würden alle anderen die Fallen in die Große Halle schmuggeln, um sie für den nächsten Tag vorzubereiten. Stattdessen ins Kino zu gehen – von jeher eine meiner Lieblingsbeschäftigungen – fühlte sich ein bisschen an wie Schule schwänzen.
Genieß es doch einfach , sagte ich mir. Alles wird sich bald genug ändern.
Während Vic Damone ein Schmachtlied über eine Liebesbeziehung sang, betraten zwei weitere Leute die Empore und setzten sich zu uns: Raquel nahm neben mir Platz und Dana auf der anderen Seite neben Lucas.
»Ich habe Popcorn geholt«, sagte Raquel.
Wir beide lächelten uns an, und einen Moment lang war es so, als sei nie etwas geschehen. Nein , berichtigte ich mich selbst, es ist geschehen. Und wir haben es durchgestanden.
Dana und Lucas neben uns schienen keine Worte zu finden. Lucas lehnte sich in seinen Sessel zurück, als wäre er erschöpft. Trotz der Dunkelheit im Kino konnte ich sehen, dass sich Danas Augen mit Tränen füllten.
Sie griff nach seiner Hand, und ich erinnerte mich daran, was für ein Schock es für mich gewesen war, als ich Lucas berührt und zum ersten Mal festgestellt hatte, dass er nicht mehr warm war und keinen Puls mehr hatte. Er war immer die lebendigste Person gewesen, die ich gekannt hatte. Ganz gleich, wie viele Kräfte und Fähigkeiten er jetzt als Vampir hatte, ich konnte nie vergessen, was er dafür eingebüßt hatte.
»Kleiner Bruder, was ist denn nur mit dir geschehen?« Danas Stimme zitterte.
»Ich denke immer noch, dass es nur ein böser Traum ist«, antwortete Lucas. »Aber es gibt kein Erwachen. Nicht aus diesem Albtraum.«
»Und doch … bist du noch immer du selbst«, sagte Dana.
Lucas seufzte. »Mehr oder weniger.«
»Das haben sie uns beim Schwarzen Kreuz nie erzählt.« Dana wischte sich mit der freien Hand über die Wangen. »Wie kann es sein, dass sie uns das nie gesagt haben?«
Er wandte sein Gesicht in Richtung Leinwand, wo Cary Grant an Deck eines Luxusdampfers entlangspazierte. Mir war klar, dass Lucas der Film vollkommen gleichgültig war; er kämpfte darum, seine Fassung zu bewahren.
»Mom hat immer gesagt, wenn sie je verwandelt werden würde, sollte ich vergessen, dass ich mal eine Mutter hatte. Ich schätze, sie hat nun vergessen, dass sie mal einen Sohn hatte, was?«
Raquel schlug die Hand vor den Mund. Es war eine kleine Geste – Mitgefühl mit einem Vampir –, die mir verriet, wie sehr auch sie sich verändert hatte.
»Es ist schon okay«, sagte Lucas, ehe er sich selbst berichtigte. »Es ist nicht okay. Aber es ist vorbei.«
Dana schlang beide Arme um Lucas und drückte ihn ganz fest, gerade als die Filmmusik lauter wurde. »Ich werde immer zu dir halten, Lucas. Das weißt du doch, oder?«
»Das ist schön zu hören«, sagte ich, »denn wir brauchen eure Hilfe.«
Während Deborah Kerr auf der Leinwand mit Cary flirtete, erklärte ich Raquel und Dana, was wir vorhatten. Keine der beiden zögerte auch nur eine Sekunde lang. »Wir können euch da rausschaffen«, versicherte Raquel. »Und wir bringen euch, wohin ihr wollt.«
»Ich habe beim Schwarzen Kreuz gelernt, wie man Ausweise so fälscht, dass euch niemand jemals auf die Spur kommen wird«, versprach Dana. »Wir können euch den Weg freimachen, egal, was ihr als Nächstes tun wollt. Was genau ist das eigentlich?«
Lucas und ich warfen uns einen Blick zu. Wir hatten keine Antwort darauf. Nach einer Pause, die sich mehrere Sekunden lang hinzog, sagte Dana: »Na ja, das könnt
Weitere Kostenlose Bücher