Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
den Kopf. »Die Jäger wissen das. Wenn sie Lucas jemals zufällig über den Weg laufen sollten, dann würden sie ihn sofort angreifen, aber nach der letzten Niederlage werden sie sich nicht ausgerechnet Riverton als nächsten Kampfschauplatz aussuchen.«
»Dann würde das gehen. Vielleicht kannst du noch mal nach Riverton kommen, Dana. Lucas … Ich denke, er würde dich gerne sehen wollen.«
»Dieser Junge war schon immer verrückt.« Danas gerunzelte Stirn verriet mir, dass sie noch ganz genau wie früher an Lucas hing. »Sag mir den Tag, dann werden wir da sein.«
Erst jetzt nahm ich die Umgebung wirklich wahr. Ein billiges, aber gemütliches Hotelzimmer, in dem genug Zeug herumlag, um mir zu verraten, dass die beiden schon eine ganze Weile hier wohnten. Beim Schwarzen Kreuz war es ein Ding der Unmöglichkeit, Geld für private Unterkünfte abzuzweigen. Geld gehörte immer der Gruppe, nie einzelnen Mitgliedern. »Dann habt ihr es also wirklich getan? Ihr habt das Schwarze Kreuz verlassen?«
»Nicht, dass wir noch eine große Wahl gehabt hätten, nachdem wir auf Kate gefeuert hatten«, sagte Raquel. Zum ersten Mal sah sie mir direkt in die Augen. »Aber es würde nur einen Herzschlag dauern, und wir würden es wieder tun.« Dann zuckte sie zusammen, denn offenbar hatte sie Angst, dass das eine taktlose Bemerkung gewesen war gegenüber einer toten Person.
Dana seufzte. »Wir hatten schon unsere Zweifel nach dem, was man euch beiden in New York angetan hat. Und dass sie dann in Philadelphia Jagd auf Lucas gemacht haben, hat uns den Rest gegeben. Vor ein paar Wochen sind wir endgültig ausgestiegen. Haben uns hier verkrochen, aber wir werden uns irgendwann eine richtige Wohnung suchen. Im Augenblick arbeiten wir für einen Lohn, der gerade so reicht, und fühlen uns gut dabei.«
»Vielleicht können wir keine großen Sprünge machen«, fügte Raquel hinzu, »aber wir haben genug zu essen.«
Eine seltsame Stille legte sich über den Raum, und so begann ich: »Raquel, eigentlich bin ich gekommen, weil ich mich mit dir unterhalten wollte.«
»Es tut mir alles so leid.« Raquel zitterte, aber sie kletterte aus dem Bett. Sie trug ein altes, abgetragenes T-Shirt und einen Baumwollslip, und natürlich hatte sie um ihr Handgelenk das Lederarmband gebunden, welches ich dermaßen gut in Erinnerung gehabt hatte, dass es die Fähigkeit besessen hatte, mich hierherzubringen. »Bianca, es tut mir so unendlich leid. Du ahnst nicht … Vergiss es, es spielt keine Rolle, wie ich mich gefühlt habe. Du warst mir eine gute Freundin. Ich hätte dich beschützen sollen, und das habe ich nicht getan. Ich habe versagt. Wenn du mich jetzt als Geist heimsuchen willst – oder was auch immer –, dann weiß ich, dass ich es verdient habe.«
Ich hatte nicht gewusst, wie viel es mir bedeuten würde, diese Worte zu hören. Aber es gab auch noch Dinge, die ich selbst auf dem Herzen hatte. »Ich habe dich angelogen. Ich hatte meine Gründe, aber trotzdem. Wenn ich dir gleich die Wahrheit gesagt hätte, hätte vielleicht alles nicht ein so schlimmes Ende genommen.«
»Das entschuldigt trotzdem nicht, was ich getan habe«, sagte Raquel, und ihre Stimme zitterte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, und sie war dabei so aufgebracht, dass es mich erstaunte. »Du hättest getötet werden können. Ich meine: so richtig getötet. Du weißt schon, wovon ich spreche. Als ich begriffen hatte, was sie vorhatten … Wenn ich das früher gewusst hätte, dann hätte ich dich ihnen niemals ausgeliefert. Niemals.«
»Ich weiß. Ich glaube, das habe ich immer gewusst. Außerdem habt ihr euch für Lucas eingesetzt, als er es am nötigsten gebraucht hat. Das ist es, was am Ende zählt.«
Als ich Raquel unsicher anlächelte, versuchte sie, die freundliche Geste zu erwidern. Das Gewicht ihres Verrats hing schwer zwischen uns, aber es schien ein wenig leichter geworden zu sein. Es würde noch eine Weile dauern, bis sich die Wunden schließen würden, aber wenigstens hatten wir uns ausgesprochen. Wir waren wieder auf der gleichen Seite. Und alles andere würde sich mit der Zeit finden, davon war ich fest überzeugt.
»Ich bin eigentlich gar nicht hergekommen, um mit dir darüber zu sprechen«, sagte ich.
Raquel war verblüfft. Und nachdem sie Dana einen Blick zugeworfen hatte, die aber genauso ratlos wie sie war, fragte sie: »Und was treibt dich sonst hierher?«
»Der Geist, der dich in deinem alten Zuhause heimgesucht hat«, sagte ich und machte mich auf
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