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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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leises Rascheln in ihren bauschigen Petticoats, und eine der Puppen beugte sich so plötzlich zur Seite, als sei sie umgefallen. Sie waren am Leben und doch gleichzeitig auch nicht; sie beobachteten mich und beobachteten mich auch nicht, und auf jeden Fall waren sie unheimlich. Sie jagten mir eine Heidenangst ein, und ich war immerhin ein Geist.
    So stellt sich irgendjemand ein Kinderzimmer vor , dachte ich. Es war eine ganz und gar übertriebene Nachahmung eines Raumes, in dem ein kleines Mädchen schlafen würde. Geschaffen von einem Typen, der viel zu viel Zeit damit verbrachte, sich kleine Mädchen in ihren Betten vorzustellen.
    »Zeig dich«, verlangte ich. In der anderen – der eigentlichen – Realität, konnte ich sehen, wie Raquel und Dana erschreckt zusammenzuckten. »Hör auf, dich hinter den Puppen zu verstecken. Komm heraus.«
    »Die Puppen«, flüsterte Raquel. Sie musste schon früher von ihnen geträumt haben.
    Im Kinderzimmer raschelten die Puppen noch lauter und fielen in einem Haufen übereinander, sodass sich ihre goldenen und braunen Locken mischten. In der Mitte sah ich ihn .
    Wenn ich nicht gespürt hätte, wie entsetzlich tief Raquels Angst ging, dann hätte ich laut aufgelacht. Dieser Geist sah nicht unheimlich aus – nur fett und kahlköpfig. Er war nicht besonders groß. Und doch, als er mich eindringlich musterte und den Kopf nach links, dann nach rechts schieflegte, war da etwas in der Leere seines starren Blickes und der Gier in seinem Lächeln, das mich bis ins Mark erschütterte.
    Hübsch. Hübsches, rotes Haar. Bist du gekommen, um mit mir zu spielen?
    Er schlurfte aus dem Berg voller Puppen. Sein Körper war nackt und ekelerregend, und meine Angst wurde schnell zu Abscheu und schlug dann in Zorn um.
    Ich sagte: »Ich bin nicht zum Spielen hier.«
    Du musst etwas ausstrahlen , hatte Patrice gesagt. Ich wusste nicht, wie ich das tun sollte, also konzentrierte ich mich auf den Geist und dachte an meinen eigenen Tod. Ich erinnerte mich an das seltsame Gefühl des Hinabsinkens, als mein Körper nach und nach alles losgelassen hatte. Ich sah Lucas’ Tränen vor mir, während er meine Hand umklammerte … Die Erinnerung daran war viel zu lebendig, als dass ich sie hätte ertragen können. Und doch konnte ich merken, wie der Geist von diesen Bildern in mir näher gelockt wurde. In meinen Gedanken begannen sich Worte zu formen, als würde ich etwas rezitieren.
    Bei allem, was uns von den Lebenden trennt, trenne ich dich nun von diesem Ort. Bei all der Dunkelheit, die in uns wohnt, überantworte ich dich nun der Dunkelheit. Beim Tod, der mir Kraft verleiht, nehme ich dir nun deine Macht.
    Der Geist fing an zu kreischen, und es war ein unirdisches Jammern, das überall im Haus widerhallte. Dana hielt sich, vielleicht vor Schmerzen, beide Ohren zu und ließ die Puderdose zu Boden fallen. Raquel jedoch zuckte nicht zusammen. Sie hob sie auf und warf sie mir zu, und ich materialisierte mich gerade so weit, dass ich sie mit der Hand auffangen konnte.
    Im gleichen Augenblick begann die Kraft der Magie zu wirken und zog den Geist in den Spiegel. Ich bewegte ihn so, wie Patrice es mir beschrieben hatte, und der Geist zerfiel vor meinen Augen. Nicht in hübschen Nebel, wie ich es gewöhnt war, sondern er wurde auseinandergerissen, als wäre er ein körperliches Wesen. Da waren Blut, Sehnen und Schmerzensschreie. Dann wurden die Überreste zu Staub und rauschten in den Spiegel hinein, während das Kreischen die ganze Zeit über nicht aufhörte.
    Und dann herrschte Stille. Die Traumwelt war verschwunden. Wir standen im Wohnzimmer und starrten auf die eisverkrustete Puderdose, die ich hoch über meinem Kopf hielt.
    »Ist das …? Haben wir ihn erwischt?«, fragte Dana atemlos, die Hände immer noch über den Ohren.
    »O mein Gott.« Raquel holte zitternd Atem. »Wir haben ihn gefangen.«
    »Und so lange, wie wir den Spiegel darin nicht zerbrechen, wird er nie wieder herauskommen.« Ich hatte gegen ihn gekämpft. Und ich hatte gewonnen. Ich wusste nun, wie ich mich gegen Geister zur Wehr setzen konnte. Bedeutete das, dass ich endlich frei war?
    »Er ist im Spiegel gefangen?« Raquel blinzelte. »Er ist nicht in irgendeine Geisterebene verbannt oder so?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Wo auch immer er sich befindet, er kann nicht mehr herauskommen.«
    Raquel begann zu lachen, und es war ein Klang reiner Freude. Dann schlang sie mir die Arme um die Schultern. Ich bot all meine Kräfte auf, um eine

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