Evernight Bd.1 Evernight
gerade passiert?«
»Pscht. Bianca, beruhige dich.« Er legte mir die Hände auf die Schulter, aber das bewirkte bei mir das genaue Gegenteil.
»Mich beruhigen? Ihr habt meinen Freund angegriffen, der sich auf einen Kampf eingelassen hat. Ich verstehe das alles nicht, nichts davon! Bitte, Balthazar, sag mir doch nur… Sag mir, o Gott, was denn bloß? Ich weiß ja nicht mal, was ich wissen will!« So viele Fragen stiegen zugleich in mir auf, dass sie mir in der Kehle stecken blieben und mich zu ersticken drohten.
Balthazar sagte ganz ruhig: »Du wurdest angelogen. Wir wurden alle getäuscht.«
Eine Frage schälte sich aus den anderen hervor: »Was ist das Schwarze Kreuz?«
»Eine Vereinigung von Vampirjägern.«
» Waaaas? «
»Das Schwarze Kreuz ist eine Gruppe von Vampirjägern, die uns seit dem Mittelalter das Leben schwer macht. Sie spüren uns auf. Sie trennen uns von anderen unserer Art. Und sie töten uns.«
Balthazar wischte mir die Blutstropfen von meinem Vater aus dem Gesicht, so zärtlich, als wären es Tränen. »Sie haben schon mal versucht, die Evernight-Akademie zu unterwandern. Immer mal wieder verschafft sich ein Mensch mit schönen Reden oder durch Bestechung seinen Weg hier herein, und die Verantwortlichen lassen es zu, um jede Form der Aufmerksamkeit zu vermeiden. Und einer dieser Menschen entpuppte sich als Mitglied des Schwarzen Kreuzes.«
»Vor rund hundertfünfzig Jahren.« Die Geschichte, die ich oben erzählt hatte, die Lucas mir anvertraut hatte, als wir uns zum ersten Mal trafen, ergab plötzlich einen Sinn. »Der Kampf in der Geschichte - es war gar kein Duell, nicht wahr?«
Balthazar schüttelte den Kopf. »Nein. Der Handlanger des Schwarzen Kreuzes wurde enttarnt und hat sich den Weg hinaus mit Gewalt freigekämpft. Und das Gleiche ist heute Nacht wieder geschehen.«
Das Schwarze Kreuz. Vampirjäger. Lucas hatte nicht erwähnt, dass er etwas darüber in den Büchern gelesen hatte, die ihm Mrs. Bethany gegeben hatte. Nun war mir klar, dass er es vor mir geheim gehalten hatte.
Lucas war hergekommen, um Kreaturen wie mich zu jagen und zu töten. Er hatte mich sogar beschwatzt, ihn noch einmal zu beißen und ihm so die Stärke und Macht zu verleihen, in einem Kampf zu bestehen. Er hatte mich benutzt, um ein wirksamerer Mörder zu werden, und dann hatte er versucht, meine Eltern umzubringen. Und die ganze Zeit über hatte er mich angelogen.
Am Anfang, ehe Lucas wusste, dass ich eine Vampirin war, hatte er versucht, mich zu beschützen. Ich hatte geglaubt, er kümmere sich um mich, weil ich einsam war, aber das war überhaupt nicht der Grund. Er dachte, ich sei ein Mensch, umgeben von Vampiren, und deshalb passte er auf mich auf.
Aber seitdem er herausgefunden hatte, wer ich wirklich war, benutzte er mich, um tiefer in Evernight vorzustoßen. Um Macht zu erlangen. Um zu bekommen, was immer er wollte. Er sorgte dafür, dass ich mich schuldig fühlte, weil ich ihn angelogen hatte, dabei erzählte er mir viel größere Lügen.
Was mir wie Liebe erschienen war, war in Wirklichkeit nichts anderes als Verrat gewesen.
16
Wie betäubt saß ich auf der obersten Stufe des Treppenhauses und lauschte auf die Vorbereitungen, die überall um mich herum ihren Lauf nahmen.
Mrs. Bethanys Team bestand aus nur fünf Vampiren: ihr selbst, meinen Eltern, Balthazar und Professor Iwerebon. All trugen schwere Regenmäntel und hatten sich Messer an die Waden und Unterarme gebunden.
»Wir sollten Pistolen haben.« Das war Balthazar. »Um mit einer Situation wie dieser fertig zu werden.«
»Wir waren nur zwei Mal in mehr als zweihundert Jahren gezwungen, uns einer ›Situation wie dieser‹ zu stellen.« Mrs. Bethany sagte mit einer Stimme, die noch eisiger als sonst klang: »Unsere Fähigkeiten sind gewöhnlich mehr als ausreichend, um mit Menschen fertig zu wer den. Oder fühlen Sie sich dieser Aufgabe nicht gewachsen, Mr. More?«
Lucas ist ein Vampirjäger. Lucas kam hierher, um Leute wie meine Eltern zu töten. Er hatte mir geraten, ihnen zu misstrauen. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, sie hätten mich als Baby entführt. Er hat versucht, einen Keil zwischen uns zu treiben. Ich hatte ihn nur für anmaßend gehalten, aber schließlich hat er wirklich versucht, sie zu töten.
»Ich komme schon klar«, antwortete Balthazar. »Aber es ist denkbar, dass sich Lucas ebenfalls bewaffnet hat. Er gehört zum Schwarzen Kreuz. Auf keinen Fall wird er unvorbereitet hierhergekommen sein.
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