Evernight Bd.1 Evernight
nie mit jemand anderem ausprobiert. Oder irgendwo anders als zu Hause.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal.« Er führte mich weiter in die Halle hinein, sodass das Kerzenlicht um uns herum heller strahlte. »Lass uns anfangen.«
Balthazar brachte uns zwischen die anderen Tanzenden, als ob er es geprobt hätte: Er wusste genau, wohin wir gehörten und wie wir uns bewegen mussten. Alle Zweifel, die ich an meinen Walzerkünsten gehabt hatte, verflüchtigten sich auf der Stelle. Ich erinnerte mich gut an die Schritte, und Balthazar führte wunderbar. Seine starke Hand in meinem Rücken schob mich geübt in die richtige Richtung. Ich sah Patrice in der Nähe, die mich bewundernd anlächelte, ehe sie bei der nächsten Tanzfigur weggewirbelt wurde.
Danach verschwamm der Ball zu einem langen, glücklichen Abend. Balthazar verlor die Lust am Tanzen die ganze Zeit über nicht und ich ebenso wenig. Energie durchströmte mich wie Elektrizität, und ich fühlte mich, als könnte ich tagelang weitertanzen, ohne langsamer zu werden. Das Lächeln von Patrice und das ungläubige Starren von Courtney verrieten mir, dass ich schön aussah, und was noch wichtiger war: Ich fühlte mich auch so.
Mir war nie klar gewesen, wie wunderbar diese Art des Tanzens war. Nicht nur, dass ich die Schritte kannte, jeder andere kannte sie auch. Jedes Paar war ein Teil des Tanzes, alle bewegten sich zeitgleich, alle Frauen streckten ihre Arme in genau dem richtigen Winkel aus, genau zur richtigen Zeit. Unsere langen, bauschigen Röcke wirbelten um uns herum und schufen farbenprächtige, wogende Reihen vor den schwarzen Schuhen der Jungs, und alle Schritte waren genau auf den Rhythmus abgestimmt. Das bedeutete keine Einschränkung, sondern eine Befreiung, denn es nahm einem alle Verwirrung und jeden Zweifel. Alle Bewegungen ergaben sich aus den vorherigen. Vielleicht fühlte es sich genauso an, wenn man Ballett tanzte. Wir alle bewegten uns gemeinsam, um etwas Wunderschönes zu erschaffen, ja etwas Magisches.
Zum ersten Mal, seitdem ich in der Evernight-Akademie angekommen war, wusste ich genau, was zu tun war. Ich wusste, wie ich mich bewegen musste und wie ich lächeln wollte. Ich fühlte mich gut an Balthazars Seite, und ich badete in der Wärme seiner Bewunderung. Ich gehörte dazu.
Ich hatte mir nie vorstellen können, wie ich ein Teil der Welt von Evernight werden könnte, aber nun lag der Weg vor mir, breit, schier endlos und einladend.
»Wenn dich diese Meute in die Fänge bekommt, ein süßes Mädchen wie dich, dann will ich nicht zugucken müssen.«
Lucas’ Stimme hallte in meinem Kopf, so klar, dass er mir auch hätte ins Ohr flüstern können. Ich stolperte, und im gleichen Augenblick hatte ich den Rhythmus des Tanzes verloren. Balthazar schob mich rasch von der Tanzfläche, den Arm um meine Schultern gelegt. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht es gut«, log ich. »Es ist nur… so warm. Ich glaube, ich bin überhitzt.«
»Dann lass uns ein bisschen an die frische Luft gehen.«
Während Balthazar mich durch die Menge der Tanzenden schob, wurde mir mit einem Schlag klar, was ich beinahe getan hätte. Ich war stolz darauf gewesen, ein Teil von Evernight zu sein - ein Ort, an dem die Starken Jagd auf die Schwachen machten, wo die Schönen auf die Gewöhnlichen hinabsahen und wo Hochnäsigkeit wichtiger als Freundlichkeit war. Nur weil sie eine Nacht lang aufgehört hatten, mich zu hänseln, war ich bereit zu vergessen, was für Bastarde die meisten von ihnen waren.
Allein der Gedanke an Lucas hatte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Wir traten aus der Halle hinaus aufs Schulgelände. Dort drückten sich keine Aufpasser herum. Offensichtlich gingen Mrs. Bethany und die anderen Lehrer davon aus, dass die Kälte des Spätherbstes die meisten Schüler am Rausgehen hindern würde, und als die kalte Luft auf meine bloßen Schultern und meinen Rücken fiel, wusste ich, warum. Doch noch bevor ich anfangen konnte zu zittern, zog Balthazar seine Smokingjacke aus und legte sie mir um die Schultern. »Besser?«
»Ja. Ich brauche nur einen Augenblick.«
Er beugte sich näher zu mir und wirkte wirklich besorgt. Balthazar war so ein Gentleman, so ein anständiger und guter Kerl. Ich wünschte, er hätte jemand anders zum Tanz ausgeführt, ein Mädchen, das ihn wirklich zu schätzen wüsste. Er sagte nur: »Lass uns ein paar Schritte gehen.«
»Spazieren gehen?«
»Es sei denn, du willst wieder zurück zum
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