Evernight Bd.1 Evernight
die Wahrheit wissen willst.«
Mehr konnte man praktisch nicht ausweichen, aber zu meiner Überraschung schien Lucas es zu glauben. Er entspannte sich in meinen Armen und nickte, als ob er nun alles verstanden hätte. »Ich werde dich nie mehr im Stich lassen. Das verspreche ich.«
»Du hast mich nicht im Stich gelassen, Lucas. Das könntest du doch gar nicht.« Ich fühlte mich schuldig und klammerte mich noch fester an ihn. »Und ich werde dich auch nicht im Stich lassen.«
Ich werde dich vor jeder Gefahr beschützen , schwor ich mir. Auch vor mir selbst.
9
Danach schien es, als würde ich in zwei Welten gleichzeitig leben. In einer der beiden waren Lucas und ich endlich beisammen. Das fühlte sich wie der Ort an, an dem ich mein ganzes Leben lang hatte sein wollen. In der anderen Welt war ich eine Lügnerin, die es nicht verdiente, an Lucas’ Seite oder bei sonst irgendwem zu sein.
»Es kommt mir nur so komisch vor.« Lucas’ Flüstern war so leise, dass es nicht in der ganzen Bibliothek zu hören war.
»Was kommt dir komisch vor?«
Lucas sah sich um, ehe er mir antwortete, um sicher zu sein, dass niemand lauschte. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Wir saßen in einer der entlegenen Nischen, die von handgebundenen Büchern gesäumt war, was sie zu einer der ungestörtesten Ecken der ganzen Schule machte. »Dass wir uns beide nicht richtig an die Nacht erinnern.«
»Du wurdest verletzt.« Im Zweifelsfall hielt ich mich einfach an die Geschichte, die Mrs. Bethany erfunden hatte. Lucas glaubte noch immer nicht richtig daran, aber irgendwann würde er es tun. Er musste einfach. Alles hing davon ab. »Es kommt oft vor, dass die Leute vergessen, was geschah, kurz bevor sie verletzt wurden. Macht doch Sinn, oder? Diese schmiedeeisernen Geländer haben scharfe Kanten.«
»Ich habe auch schon vorher Mädchen geküsst…« Seine Worte verebbten, als er meinen Gesichtsausdruck sah. »Aber niemanden so wie dich. Nicht mal annähernd.«
Ich senkte den Kopf, um mein verlegenes Lächeln zu verbergen.
Lucas fuhr fort: »Auf jeden Fall bin ich davon nicht in Ohnmacht gefallen. Niemals. Du kannst echt toll küssen … das kannst du mir glauben. Aber nicht mal du kannst mich dazu bringen, die Besinnung zu verlieren.«
»Du bist doch gar nicht deswegen ohnmächtig geworden«, sagte ich und tat so, als würde ich wirklich gerne im Buch über Gartenbau weiterlesen, das ich gefunden hatte. Der einzige Grund, warum ich es überhaupt zur Hand genommen hatte, war die noch immer unterschwellig vorhandene Neugier, welche Blume ich vor Monaten in meinen Träumen gesehen hatte. »Du bist umgekippt, weil dir eine mächtige eiserne Stange auf den Kopf gedonnert ist. Hallo?«
»Das erklärt aber nicht, warum du dich an nichts erinnerst.«
»Du weißt doch, dass ich Probleme habe, weil ich so ängstlich bin. Dass ich manchmal durchdrehe. Als wir uns das erste Mal trafen, war ich gerade mitten in einem riesigen Ausraster. Einem gigantischen. Da gibt es Teile meiner grandiosen Flucht, an die ich mich ebenfalls nicht gut erinnere. Ich meine, du hättest getötet werden können.« Dieser Teil zumindest kam der Wahrheit sehr nahe. »Kein Wunder, dass ich Angst hatte.«
»Ich habe aber überhaupt keine Beule am Kopf. Nur einen Bluterguss, als sei ich gefallen oder so was Ähnliches.«
»Wir haben dir einen Eisbeutel auf die Stelle gelegt. Wir haben uns um dich gekümmert.«
Nicht sehr überzeugt, fuhr Lucas fort: »Das ergibt trotzdem keinen Sinn.«
»Ich weiß nicht, wieso du immer noch darüber grübelst.« Allein die Tatsache, dass ich das sagte, machte mich schon wieder zur Lügnerin, und zwar noch schlimmer als vorher. Ich musste mich zu Lucas’ eigenem Schutz an die Geschichte halten, denn wenn Mrs. Bethany je rausbekäme, wie intensiv er das Gefühl hatte, dass etwas im Busch war, dann würde sie… würde sie… Oh, ich wusste nicht, was sie tun würde, aber ich war überzeugt, es würde nichts Gutes sein. Doch Lucas zu sagen, dass er falschlag, wenn er Zweifel hatte, dass die klugen und vernünftigen Fragen, die er an Evernight und an seinen Gedächtnisschwund in jener Nacht stellte, nur dummes Zeug waren, das war etwas viel Schlimmeres. Damit forderte ich Lucas auf, an sich selbst zu zweifeln, und das wollte ich nicht. Ich wusste inzwischen, wie es sich anfühlte, wenn man den Glauben an sich selbst verlor. »Bitte, Lucas, du musst damit aufhören.«
Lucas nickte langsam. »Wir sprechen
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