Evernight Bd.1 Evernight
haben, Leben. Und auch nicht denen, die wir in Zukunft untersuchen werden. Maschinen werden überhaupt nicht belebt. Ist das jetzt abschließend geklärt?«
Ranulf nickte langsam, aber er sah nicht überzeugt aus. Er trug sein braunes Haar in einem Topfschnitt, und er hatte ein offenes, argloses Gesicht. Einen Moment darauf wagte er noch einen Vorstoß: »Was ist mit dem Geist des Metalls, aus dem dieses Kästchen gemacht ist?«
Mr. Yee sackte zusammen, als gebe er sich geschlagen. »Gibt es irgendjemanden aus dem Mittelalter, der in der Lage sein könnte, Ranulf bei der Aufgabe zu helfen?« Genevieve nickte und setzte sich neben ihn.
»Mein Gott, so schwer ist es doch auch nicht… Es ist doch nicht so viel anders als ein Turbo-Walkman oder so.« Courtney warf Ranulf einen skeptischen Blick zu. Sie war eine der wenigen in Evernight, die niemals den Kontakt zur modernen Welt verloren zu haben schien. Soweit ich das beurteilen konnte, war Courtney vor allem hier, um Kontakte zu knüpfen. Sehr zum Leidwesen von uns anderen. Ich seufzte und machte mich wieder daran, eine neue Playlist mit meinen Lieblingsliedern für Lucas zusammenzustellen. Moderne Technologien war einfach zu leicht für mich.
Sonderbarerweise war der Englischkurs der Ort, an dem es am schwersten war, den Ärger, der unter der Oberfläche brodelte, zu vergessen. Wir hatten das Thema Folklore abgeschlossen, widmeten uns nun den Klassikern und hatten uns Jane Austen vorgenommen, eine meiner Lieblingsautorinnen. Ich dachte, dabei könnte ich gar nicht danebenliegen. Aber Mrs. Bethanys Kurs war wie ein Paralleluniversum für Literatur, in dem alles, mich eingeschlossen, auf dem Kopf stand. Selbst Bücher, die ich schon gelesen hatte und in- und auswendig kannte, wurden in ihrem Klassenzimmer fremd, als ob sie in eine grobe, unzugängliche fremde Sprache übersetzt worden wären. Doch bei Stolz und Vorurteil würde alles anders werden. Das jedenfalls glaubte ich.
»Charlotte Lucas ist verzweifelt.« Ich hatte tatsächlich meine Hand gehoben, um mich freiwillig drannehmen zu lassen. Wie hatte ich nur darauf kommen können, dass das eine gute Idee war? »In diesen Tagen und Zeiten war eine Frau, die nicht verheiratet war, nun ja, ein Niemand. Sie konnte nicht zu Geld kommen und würde nie ein eigenes Heim haben. Wenn sie nicht für alle Zeiten eine Bürde für ihre Eltern sein wollte, dann musste sie heiraten.« Ich konnte es nicht glauben, dass ich das Mrs. Bethany sagen musste.
»Interessant«, antwortete Mrs. Bethany. Interessant war ihr Synonym für falsch . Ich begann zu schwitzen. Sie lief in kleinen Kreisen durchs Klassenzimmer, und das Licht der Nachmittagssonne funkelte auf der goldenen Brosche am Halsausschnitt ihrer gekräuselten Spitzenbluse. Ich konnte die Rillen in ihren langen, dicken Nägeln sehen. »Verraten Sie mir doch bitte, ob Jane Austen verheiratet war.«
»Nein, war sie nicht.«
»Aber sie hat einen Antrag bekommen. Alle Mitglieder ihrer Familie betonen diese Tatsache in ihren verschiedenen Memoiren. Ein wohlhabender Mann bat Jane Austen um ihre Hand, aber sie lehnte ab. Musste sie denn heiraten, Miss Olivier?«
»Na ja, nein, aber sie war eine Schriftstellerin. Ihre Bücher sorgten dafür…«
»Weniger Geld, als man denken würde.« Mrs. Bethany war erfreut, dass ich ihr in die Falle gegangen war. Erst jetzt begriff ich, dass die Folklore-Einheit während unserer Lektüre dafür gedacht gewesen war, den Vampiren beizubringen, wie die Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts über das Übernatürliche dachte, und dass die Klassiker dazu dienten, zu untersuchen, wie sich die Lebens- und Denkweisen der damaligen Zeiten von den heutigen unterschieden. »Die Austen-Familie war nicht besonders reich. Wohingegen die Familie Lucas… War sie denn arm?«
»Nein«, meldete sich Courtney zu Wort. Da sie sich nicht länger die Mühe machte, gegen mich vorzugehen, nahm ich an, dass sie sich einmischte, damit Balthazar sie wahrnahm. Seit dem Ball hatte sie ihre Anstrengungen, ihn für sich zu gewinnen, wieder aufgenommen, aber, soweit ich das beurteilen konnte, interessierte ihn das noch immer herzlich wenig. Courtney fuhr fort: »Der Vater ist Sir William Lucas, das einzige Mitglied des niederen Adels in der Stadt. Sie sind wohlhabend genug, dass Charlotte nicht irgendjemanden heiraten muss, wenn sie nicht wirklich möchte.«
»Glaubst du etwa, dass sie wirklich Mr. Collins heiraten wollte?«, entgegnete ich. »Er ist ein
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