Evers, Horst
noch
herauszufinden, welcher Cocktail denn der richtige ist, um über Tanztheater zu
sprechen. Um es vorwegzunehmen: Den wirklich richtigen, idealen Cocktail für
Tanztheatergespräche haben wir leider nicht gefunden, dafür aber bei einer
ganzen Reihe anderer Cocktails wertvolle Grundlagenforschung betreiben können:
«Mai Tai» ist perfekt, um übers Wetter zu reden, «Brain Massacre» passt sehr
gut zu Hertha BSC, für Westerwelle eignet sich ein «Zombie», bei «Coconut Kiss»
wurde der Zustand der Toiletten angeklagt, beim «Pina Colada» verkündete
Jutta, der Typ hinter der Bar sei süß, beim «Caipirinha» einigten wir uns,
würde man heute ein Kind bekommen, würde man es Eyjafiallajökull nennen, beim
«Caipiroschka» befand Jutta, der Typ hinter der Bar sei schwul, der könne ja
nur schwul sein, bei «Bahama Mama» stellte Thomas die These auf, das Tolle an
guten Cocktails sei ja, dass man von ihnen praktisch gar nicht betrunken wird,
während ihres «B-52» erklärte Jana, der Zustand der Toiletten habe sich durch
ihren Besuch leider nochmal verschlechtert, beim «Sudden Death» schließlich kamen
wir alle überein, wären wir vor einer halben Stunde gegangen, dann hätten wir
sagen können, wir sind zum richtigen Zeitpunkt gegangen. Kurz darauf standen
wir wieder auf der Straße und hatten immer noch nicht über das Tanztheater
gesprochen. Also passierte, was immer passiert, wenn man freitagnachts um 2.30
Uhr angetrunken auf der Straße steht. Hunger. Jutta, Jana, Lydia und Thomas
beschließen, dass es reicht, wenn einer an der Currywurstbude ansteht. Ich
dürfe raten, wer. Sehr lustig. Ich frage: «Warum ich?»
Sie sagen,
das sei eine berechtigte Frage, ich solle doch ruhig darüber nachdenken,
während ich anstehe. Sie lachen. Ich sage: «Ich kann mir so viele Bestellungen
nicht merken. Schon sonst nicht, aber jetzt langsam wird mir auch klar, wie
dieser Cocktail ist.»
Meine vier
fiesen Freunde beruhigen mich: «Ach komm, Horst, die Bestellung ist ganz
einfach. Wir nehmen alle Currywurst mit Pommes rot-weiß.»
Also gut,
das kann ich ja vielleicht doch mal versuchen. Und dann habe ich immerhin auch
mal was für unsere Freundschaft getan, etwas, was ich ihnen noch jahrelang
vorhalten kann. Außerdem stelle ich zu meiner großen Verblüffung fest, dass ich
ohnehin schon anstehe. Vier Leute sind vor mir. Die Freunde stellen sich drei
Meter weiter an einen Stehtisch. Was dann geschieht, versuche ich jetzt einfach
mal genau so wiederzugeben, wie ich mich noch daran erinnern kann, ohne etwas
wegzulassen oder hinzuzufügen. So komplett, wie es eben ein treues Hirn nach
dem Fluten durch mehrere Cocktails noch kann:
Jutta ruft
rüber, sie hat die Mayonnaise gesehen, sie will jetzt doch keine Mayonnaise,
Thomas will seine Curry ohne Darm, Lydia mit Darm, aber ohne Curry, Jana doch
lieber Boulette, Thomas die Pommes ohne Salz, Jutta will jetzt doch Remoulade,
Lydia statt Wurst lieber Fleischspieß, Thomas statt Pommes Kartoffelsalat, Jana
will doch nur nen Kaffee, Lydia doch lieber nur Pommes, Thomas statt Kartoffelsalat
Nudelsalat, Jutta keine Wurst, lieber Schnitzel, Thomas sagt, ich soll fragen,
ob der Nudelsalat mit Mayo, wenn mit Mayo, dann doch lieber Kartoffelsalat,
wenn Kartoffelsalat auch mit Mayo, dann egal, oder doch nicht, dann statt
Salat lieber ne zweite Wurst, Jana will statt Kaffee lieber Kakao, Lydia doch
zu den Pommes Bouletten, Jutta sagt, ich soll fragen, ob es Suppe gibt, alle
rufen, wenn es Suppe gibt, dann wollen sie: keine!, Jana ruft, einfach Brot
dazu, viel Brot dazu, Thomas will die zweite Wurst mit Darm, Jana möchte
Zwiebeln, viele Zwiebeln, aber nicht scharf, Lydia nur Brot, Jutta das Brot
extrascharf, Thomas will jetzt doch den Darm ohne Wurst...
Dann wird
mein Hirn ohnmächtig. Eine der wunderbarsten Eigenschaften meines Hirns ist,
dass es ohnmächtig werden kann, ohne dem Restkörper davon etwas zu verraten.
Der läuft dann irgendwie mit Autopilot unauffällig weiter, während das Hirn
einfach für ein paar Minuten den Laden zusperrt und mal gründlich durchfegt.
Habe mir diese Technik der kontrollierten Gehirnohnmacht schon in der Schule
angewöhnt. Speziell, wenn die Lehrer einen
Ich-glaube-ihr-hört-mir-gar-nicht-richtig-zu-Vortrag begonnen haben, dann ist
mein Hirn gerne ohnmächtig geworden. Als ich wieder zu mir komme, höre ich die
Stimmen vom nahen Stehtisch wie aus einem tiefen Nebel heraus: «miit
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