Evers, Horst
fünfzehn Minuten in der Nähe von Eilenburg,
hatte der Zug einen kurzen Aufenthalt wegen eines Weichenproblems. Ein
Weichenproblem, das, so teilte man uns mit, schnellstmöglich behoben würde, damit
die Fahrt fortgesetzt werden könne. Das ist jetzt rund drei Stunden her. Drei
Stunden, in denen ich drei Folgen von «24», dieser Serie mit Kiefer Sutherland
als Jack Bauer, geguckt habe. Die Serie heißt «24», weil eine Staffel genau
vierundzwanzig Stunden aus dem Leben von Jack Bauer zeigt, am Stück, also in
Echtzeit. In diesen drei Stunden, die ich gesehen habe, ist Jack Bauer von
einem Auto überfahren worden, gefoltert und mit Drogen vollgepumpt worden, einmal
tot gewesen, einmal dann doch nicht mehr tot gewesen, einmal von einem Hochhaus
gesprungen; er hat eine Bombe entschärft, Zärtlichkeit empfangen, wurde vom
Dienst suspendiert, hat dreimal mit dem Präsidenten telefoniert, wurde
angeschossen und ist zum Schluss noch in die chinesische Botschaft
eingebrochen. Das alles hat Jack Bauer in nur drei Stunden erledigt, in
denselben drei Stunden, während deren die Bahn hier versucht, ein
Weichenproblem schnellstmöglich in den Griff zu kriegen.
Während
Jack Bauer vom Leben in den Tod und zurück und dann auch noch in die chinesische
Botschaft reist, schaffe ich es in derselben Zeit nicht einmal von Eilenburg
nach Torgau. Gut, jetzt bin ich in dem Sinne ja auch nicht Jack Bauer. Und die
Deutsche Bahn AG ist natürlich auch nicht die CTU, die Counter Terrorist Unit,
eine geheime US-Behörde, die den allermeisten Terrorismus in den USA
verhindert. Das ist die Deutsche Bahn AG wirklich gar nicht. Ich bin noch nicht
ein einziges Mal mit Jack Bauer verwechselt worden. Selbst als ich mich mal
absichtlich wie Jack Bauer angezogen habe, hat mich kein Einziger mit ihm
verwechselt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es Jack Bauer in Wirklichkeit
gar nicht gibt. Die Menschen spüren, wenn es jemanden gar nicht gibt, und dann
wird man mit dem natürlich auch nicht verwechselt, selbst wenn man genauso
angezogen ist. Das war ja damals mit Lara Croft auch so. Wobei, ich muss zugeben,
Lara Croft habe ich eigentlich nie so richtig ähnlich gesehen, selbst wenn ich
mich genauso angezogen habe. In den bisherigen sieben Staffeln von «24» war
Jack Bauer übrigens schon dreimal tot, und dreimal ist er wieder ins Leben
zurückgekehrt. Das ist im Vergleich zu Jesus die dreifache Menge an
Auferstehungen. Ich wollte das nur mal so erwähnt haben, ohne Wertung, Meinung
oder Botschaft. Nur mal so drauf hinweisen. Höchstens, falls einer mal so einen
halben Tag überhaupt wirklich gar nichts zum Nachdenken hat, der könnte da ja
dann drüber nachdenken. Muss es aber auch nicht.
In solchen
Momenten, also wenn man seit drei Stunden wegen eines Weichenproblems auf
freier Strecke steht, dann denkt man natürlich schon auch einmal, was wäre,
wenn jetzt Jack Bauer in diesem Zug säße. Aber wahrscheinlich würde das gar
nichts nützen, Jack Bauer würde sicherlich mit irgendjemandem telefonieren, und
noch während er telefoniert, würde vermutlich irgendwo irgendwas sinnlos
explodieren.
MacGyver
hingegen, das wärs, der könnte helfen, der würde schnell Kaugummi und
Zahnstocher nehmen, und dann wäre das mit der Weiche geregelt. Selbst die
Achsenprobleme hätte der doch flugs mit einem Zigarettenpapier und einem
Weinkorken repariert. Aber dem feinen Herrn MacGyver sind Züge ja längst viel
zu popelig. Der feine Herr MacGyver reist mittlerweile nur noch mit
Sternentoren durch das Universum. Stargate, Goauld, Jaffar, Replikatoren,
Taatei tiitai, hör mir doch uff. Also mal ganz ehrlich, dieses «Stargate» ist
ja meines Erachtens völliger Quatsch. Viel zu unrealistisch, in Wirklichkeit
gibt es das doch gar nicht. Da guck ich doch jetzt lieber noch eine Folge «24»
mit Jack Bauer, da kann ich mich mit identifizieren, das hat auch was mit mir
und meinem Alltag zu tun.
Der
Schaffner teilt in einer Durchsage mit, dass es mit dieser Weiche wohl doch
noch etwas länger dauern werde, der Zug fahre daher zurück nach Leipzig. Also
ich vermute sehr stark, dass er so etwas in dieser Art gesagt hat, denn bei dem
allgemeinen Lautsprecherrauschen waren nur einzelne Fetzen zu verstehen. Und
ich denke: Wunderbar, wieder ein Tag in deinem Leben, den sicherlich niemals
irgendjemand verfilmen wird.
Die schönsten Weihnachtsmärkte der Welt
Prolog
Im Laufe
der letzten zehn Jahre habe ich grob geschätzt circa achtzig Weihnachtsmärkte
im
Weitere Kostenlose Bücher