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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Kognak aus dem Stiefelschaft zu ziehen pflegte oder ein barbarisches Trompetensolo blies.
    Versöhnlich füllte der Engländer Stratonows Glas nach.
    »Es liegt mir fern, Ihren politischen Überzeugungen zu nahe treten zu wollen«, meinte Mr. Pickering mit ehrlichem Bedauern. »Ich bin noch ein gut Stück länger als nämlicher Alexander. Bei uns in Leeds ulkt man, von allen Professoren würde ich den größten Eindruck auf die Studenten machen … freilich in einem etwas andern Sinn, als mir lieb ist.«
    Stratonow fand es angezeigt, diese einlenkende Geste zu ignorieren.
    »Verzeihen Sie meine ungemeine Offenheit, aber viele Besucher aus dem Westen neigen dazu, unsere nationale Tragödie ins Lächerliche zu ziehen«, gab er nicht auf, hoffend, den andern durch ein halsbrecherisches Bravourstückchen vor der Frau auszustechen. »Was sie nicht hindert, Hofservietten mit dem Wappen des verewigten Monarchen, die in Sowjetlokalen benutzt werden, als Souvenir einzustecken. Trotz aller Aufgeklärtheit scheint in Europa immer noch Nachfrage nach einem ordentlichen Stück vom Strick des Gehenkten zu bestehen. Gewiß, bei Ihren Landsleuten ist mir dieser Hang nicht aufgefallen, doch bin ich sicher, auch unter ihnen gibt es genug, die gern mal ein, zwei Nächte im Zarenbett schliefen.«
    Und ohne dem entgeisterten Mr. Pickering Zeit zur Besinnung zu lassen, erging sich der Guide über jene besondere Spezies von Fremden, die da Gazellen in kaukasischen Naturschutzgebieten schießen, ihren Durst mit Spitzenweinen löschen und geschenkebeladen zu Hause angekommen und in Presseinterviews äußern, der Sozialismus sei das rechte für Rußland.
    »Meinen Sie wirklich?« Der Engländer kam aus seiner Verblüffung nicht heraus. »Dabei springt in die Augen«, schloß Stratonow mit Schwung, immer schneidiger vorwärtshastend, um seinen Aufstand noch vor der Rückkunft des Direktors zu beenden, »keiner dieser voreiligen Freunde hat bisher bei uns um Wohnrecht nachgesucht. Das ist es … merci für die Aufmerksamkeit. Wir fahren also in unserm Programm fort.«
    Das Besichtigungsprogramm fürs Alasan-Tal war noch in Tiflis festgelegt worden. Der Nachmittag sollte mit kachetischem Wein bekannt machen, mit Geschichte, Kelterei und Sowchoskellereien. Zwecks sinnvollster Einführung in diesen wichtigen Zweig der Weinwirtschaft wurde ein kleiner Spaziergang in die Umgegend des Schlosses anberaumt. Der Direktor selber begleitete die Gäste im Schatten des Parks, dicht bestanden mit mächtigen Platanen, Libanonzedern und Sterkuliazeen. Beiläufig, wie tastend, fragte Stratonow den Engländer, ob die alten Bäume nicht wie verkappte Dämonen wirkten, die in ihren muskulösen Umarmungen jeden Sturm zermalmen könnten. Der erwiderte ziemlich zurückhaltend, nein, sie wirkten nicht so. Da, in dem glühenden Verlangen, den dummen Eindruck, wegen seines Ausfalls gegen den Westen, zu verwischen, forschte Stratonow mit allem Respekt weiter, ob die kaukasische Geschichte niemals sein gelehrtes Interesse erregt habe. Nein, sie habe nicht erregt, meinte der andre frostig. Unterdessen waren sie bis an den Steilhang der Zinandali-Zitadelle gelangt. Betagte Kastanien, deren Früchte unter den Schritten zerknirschten, hingen überm Abgrund mit Kaskaden von Stachelgestrüpp. Tief drunten erstreckte sich eine von spärlichem Zypressenwuchs bedeckte steinige Ebene, zum Fliegen einladend und gesäumt vom Fliedersaum der Berge.
    »Von hier aus können Sie sehen, wo der kachetische Wein seinen Triumphzug beginnt«, murmelte hinter den Pickerings Stratonow, der sich schwor, seine Kunden nicht mehr zu verärgern.
     
    Dieses Jahr war der Wein eine Woche früher reif als üblich, und die Lese hatte im Tal eben am Tage vorher begonnen. Vergebens fragte der schuldgemarterte Guide, ob es den verehrten Gästen nicht auch so scheine, als ob alles ringsum im Flüsterton rede – das Laub, das Wasser, selbst die Vögel. Nur die mit Weinkörben hochbeladenen zweirädrigen Karren knarrten träge unten auf den Wegen. Und im Rücken, jenseits des Parks, stampften nach Kräften die Keltern auf nassem Zementboden. Indem Stratonow auf die mörderischen Pressen deutete, zwischen denen edle Rebenschönheit starb, um die trunkene Weisheit des Weins zu erlangen, erläuterte er seinen Zuhörern die Unterschiede zwischen den Sorten Budeschure und Muwane und vor allem, warum die Märzpflanzen verschnitten wurden. Evgenia Ivanovna sah wohl, wie die Weinbauern einander zuzwinkerten, als

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