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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Grün versteckt, ein behäbiger kuppelgekrönter weißer Pavillon, dessen Andenken es wert sei, meinte Stratonow, nach England mitgenommen zu werden.
    »Sie werden sehen, wie es einem meiner Ideale ergangen ist«, meinte er mit flackernder Stimme und verstellte ihnen den Blick ins Innere. »Eigentlich ist das nichts für Ausländer, nur wird hier ein Gedanke bestätigt, den Mrs. Pickering vorhin nicht aussprach, daß nämlich allein Bedauern Scheußlichkeiten nicht ungeschehen macht. Der Überlieferung nach hat sich hier der russische Dichter Gribojedow verlobt. Seine Braut Nina aus dem Hause Tschawtschawadse zählte damals fünfzehn Jahre. Diese romantische Liebesgrotte liegt verführerisch abgelegen, und leider bringen nicht alle Besucher die angebrachte Pietät auf.« Betrübter Miene trat der Guide zur Seite, und die Besucher erstarrten auf der Schwelle mit einem gellenden, vereint verzitternden Ausruf der Entrüstung und des Entsetzens. Der Boden des Pavillons war gleichmäßig, bis in die Ecken hin, über und über von Exkrementen bedeckt; man fühlte sich bewogen, Betrachtungen anzustellen über die Macht menschlicher Gewohnheit und die Wohltat fester Zucht. Ein Geschling aus verdächtigen Malereien und zweisprachigen Texten zog sich die getünchten Wände entlang, die das Andenken an Ninas kindliches Geplapper bewahrten. Evgenia Ivanovna preßte flehentlich den Ellbogen ihres Mannes.
    Mr. Pickering drehte sich um mit hängenden Mundwinkeln und funkelte den armseligen Stoffschlips des Guides an.
    »Ich verspreche meiner verehrten Frau«, erklärte er mit eisiger Verachtung, »Ihr unwürdiges, naturwidriges Verhalten den Tifliser Stellen nicht zur Kenntnis zu bringen. Uns beiden wäre es gleichermaßen peinlich, würden Ihnen aus unserm Besuch hier, nach allem, was Sie erlebt haben, weitere Unannehmlichkeiten erwachsen.«
    Mit altmodischer Geste bot er seiner Frau den Arm, und der erblaßte Stratonow konnte eben noch zur Seite treten.
    Zum Glück erwischte sie auf dem Rückweg der Direktor, der darauf brannte, seinen Gästen die materielle Seite der Angelegenheit zu zeigen; er verstand darunter einen Besuch der Zinandali-Kellereien. Da er die Unzugänglichkeit des Engländers für das Symptom eines neuen Anfalls hielt, bot er an, die heilsame Wirkung eines guten Alasaner Tropfens bei ausländischen Leiden zu erproben. Daß Mr. Pickering nicht ablehnte, zeigte nur wieder, daß er die besten Formen hatte und Verständnis für große Dinge. Von dem nun höchst beflissenen Stratonow begleitet, kletterten die drei in die tiefgelegenen Gewölbe hinab, wo im Dunkeln, in scharfem Kellerbrodem einer der feinsten Wohlgerüche auf Erden entsteht. Aber weder der Anblick des dreimannshohen Riesenfasses, dieses Urahns aller Zinandali-Fässer, noch die Kostproben aus bemoosten ehrwürdigen Flaschen oder die sichtliche Zerknirschung des Guides, der unbeachtet dastand – nichts vermochte die Stimmung des sensiblen Gastes zu heben. Gewiß, die flehentlichen Blicke seiner Frau rührten Mr. Pickering, und er ließ seine Absicht fahren, Rußland auf der Stelle zu verlassen, indessen lehnte er entschieden ab, den Jahrmarkt von Alawerdy zu besuchen, da ihm, meinte dieser rastlose arabische Wüstenwanderer eine schlaflose Nacht unter freiem Himmel nicht bekommen würde. Aus dem Keller, wiederum Arm in Arm mit seiner Frau, eilte er schnurstracks zu sich aufs Zimmer. Dann guckten die Eheleute zwei und eine viertel Stunde lang zwischen den zugezogenen Gardinen hinaus ins Freie und tauschten ihre wirren Gedanken zu den Vorgängen des Tages.
    Selbst für Kachetien war das ein wundervoller Tag, durchwirkt von goldenem Nachmittagsglanz. Ein ferner Berggletscher stand da wie die Schneide eines Steinmessers aus durchscheinendem lila Mineral. Wolken segneten ihn gleich Geistern mit erhobenen Händen, was sehr besänftigend wirkte aufs erregte Gemüt. Zudem hätte die Rückfahrt auf der gleichen Route über Kars neue, von hier aus ziemlich mühselige Verhandlungen mit Moskau erfordert. Gegen Abend, als der gänzlich ahnungslose Direktor nochmals bei seinen Gästen hereinsah, hatte Evgenia Ivanovna ihren Mann glücklich so weit, daß er sich ein Opfer der noch anhaltenden politischen Machtkämpfe in Rußland wähnte. Und schließlich hatte dieser arme Sünder von Guide den ganzen Nachmittag unten in der prallen Sonne gesessen, mit so zerknirschter Miene, daß sich denn Mr. Pickering nach nochmaliger Beratung mit seiner Frau fügte und den

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