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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Stratonow die Vorzüge pries, die Berlandieritraube unter Schwarzerdebedingungen zu pfropfen.
     
    Auf einmal schöpfte der ältere der beiden, ein Georgier mit buschigen Brauen, bis über die Ellbogen naß von jungem Wein, ein Glas schäumenden Traubensaftes und reichte es, die Mütze ziehend, der gelangweilten Dame – alte kaukasische Ritterlichkeit schimmerte in dieser Geste. Ihre Augen quittierten sie mit Leuchten; für einen Moment wurden ihre hübschen Züge strahlend schön, sie hob das Glas an die Lippen und bog den Kopf zurück, so daß das kurzgeschnittene Haar über die Schultern fiel und die rosige Kehle hervorstach. Sie verschluckte sich, ein paar Tropfen liefen am Mund vorbei, das erheiterte sie, sie lachte. Und dem Ewigweiblichen salutierend, führte der Alte, indes sie trank, zweimal die Fingerspitzen gegen seinen festgezwirbelten Widderhornschnurrbart.
    Schwerlich hätte ein Glas faden Mostes solch überschwengliches Entzücken erregen können. Offenbar wollte die Frau, daß ihre erblühten Reize jemand in die Augen stachen. Besorgt musterte sie der Engländer, versuchte, Stratonows Rolle dabei zu enträtseln, und fragte sich bestürzt, ob er nicht in den Händen Evgenia Ivanovnas lediglich ein Rachewerkzeug sei, ein grausames zudem, seines Äußeren wegen. Als er sich in ihr Land begab, hatte er ja dieses entwürdigende Tauziehen mit einem dunklen russischen Ehrenmann nicht voraussehen können; am peinlichsten war ihm, daß es gar nicht zu vermeiden war.
    Evgenia Ivanovna fing den forschenden Blick ihres Mannes auf.
    »Ganz harmlos, Doc, berauscht kein bißchen. Probier nur selber«, rechtfertigte sie sich und reichte ihm das Glas mit dem Schluck Wein und dem blutroten Rand, jener Spur ihrer Lippen.
    Wider Willen in das Spiel hineingezogen, schlürfte der Engländer tropfenweise den unfertigen Wein, der gleichwohl bitter war und brannte wie aus Höllenfeuer gegoren – schlürfte und ließ kein Auge von seinem Gegner, der ungerührt mit einer Gerte gegen seine Ledergamaschen klopfte. Sie gingen weiter, jeder in der deutlichen Ahnung von nahem sicherem Sieg oder Untergang. Als teile er den Ort des verabredeten Duells mit, meinte Stratonow, abends werde im Dorf Alawerdy, am andern Alasanufer, die Kirchweih eröffnet und der alljährliche Jahrmarkt abgehalten, zu dem Angehörige fast sämtlicher kaukasischer Völkerschaften, selbst der weitab siedelnden Lesginer, zusammenkämen. Dorthin seien es zwanzig Kilometer holpriger, stellenweis elend staubiger Feldweg, doch die Unbequemlichkeiten der Fahrt würden sich vollends auszahlen dank der Fülle funkelnder Eindrücke.
    »Alawérdy, Alawerdý, das kenne ich«, erinnerte sich der Engländer, den Akzent des Wortes suchend. »Zogen da nicht viele asiatische Horden auf ihrem Marsch nach Südosteuropa durch? Dort steht, wenn ich mich recht erinnere, eine alte Kirche, die von einem frommen Pilger gegründet wurde.«
    »Sie haben Ihre Morgenlektion brav gelernt«, lobte Stratonow schneidend; er hatte das Oxforder Lexikon auf dem Tisch des Engländers liegen sehen. »Die Kirche errichtete der Eremit Joseph, einer der dreizehn Mönche, die Simeon der Säulenheilige aus Antiochia her entsandte.«
    »Wie sagten Sie, Säulenheilige?« unterbrach ihn Mr. Pickering, dem die russische Vokabel nicht geläufig war.
    »Das sind stylites «, erklärte Evgenia Ivanovna und zitierte das Lieblingszitat ihres Mannes aus Tennysons gleichnamigen Gedicht: »Show me the Man hath suffered more than I!«
    Ohne sonderliche Notwendigkeit und wohl nicht nur für die Ohren des Gatten bestimmt, deklamierte sie flüssig den ganzen Achtzeiler; drei Jahre vorher, als sie in der Modia-Bucht an Land kam, hatte sie kein Wort Englisch gesprochen. Während Stratonow leise lächelnd ein Stäubchen von seinem Ärmel streifte, faßte der Engländer Evgenia Ivanovna gurrend unter und beschwichtigte sie mit innig-hypnotischen Ehemannsgebärden.
    »Da einmal davon die Rede ist, darf ich mich vielleicht mit einem alten Zweifel an Ihre Gelehrsamkeit wenden«, fuhr Stratonow fort und schmeichelte dem Engländer mit schlauen Blicken. »Hier in meinem Buch lese ich, die Kirche von Alawerdy sei im siebenten Jahrhundert gebaut worden, während besagter Säulenheiliger doch um die Wende des fünften lebte. Hinzu kommt, daß Chosroes der Große Antiochien Mitte des sechsten völlig verwüstet hat, so daß es nach dieser Heimsuchung schwerlich imstande war, Legaten außer Landes zu entsenden, ja, oder auch nur

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