Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
Gargoyles sie so einfach gehen ließen, fuhr Evianna davon, so schnell es der holperige Waldweg zuließ. Offensichtlich vertrauten die Gargoyles ihr.
Shaytan sah ihr nach.„Lasstsie nicht aus den Augen“, befahl er.
Endlich. Endlich gab es so etwas wie eine Spur und Evianna verlor keine Zeit, ihr zu folgen.
Die siebte Station auf der Tour des Lieferwagens lag im 5. Bezirk und führte sie zu einer Wohnung in einem heruntergekommenen Wohnblock in Collums Süden. Laut BVb-Computer handelte es sich um eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Menschen lebten, und obwohl Menschen um diese Uhrzeit vornehmlich schliefen, verzichtete Evianna nicht darauf, sie aus dem Bett zu klingeln. Als ein verschlafener Mann in schlabberigen Boxershorts die Tür einen Spalt weit öffnete, hielt sie ihm ihre Chipkarte unter die Nase, die sie als Adiutor der BVb auswies. Ärgerlich schnaufend schob der Mann die Sicherheitskette beiseite und ließ Evianna ein. „Was wollen sie?“, fragte er gereizt, während Evianna sich in der schäbigen Wohnung umsah. „Klappe halten!“, erklärte Evianna unmissverständlich. Denn es gab kein Gesetz, das sie dazu zwang, irgendetwas zu erklären. Sie war ein Adiutor der BVb und in eiligen Fällen - wie diesem - benötigte sie nicht einmal einen Durchsuchungsbeschluss, da die Möglichkeit bestand, die verschleppte Frau noch lebend zu finden. Der Mann schien ihre und seine Rechte zu kennen. Er schwieg.
Evianna betrat ein stickiges Schlafzimmer vor dessen Fenster eine
mottenzerfressene Decke statt einer Gardine baumelte. Sie knipste das Licht an. Eine nackte Glühbirne warf ihr grelles Licht auf eine Frau um die dreißig, die den Kopf von einem speckigen Kissen hob und blinzelte. Auch ohne den PPC zu bemühen, erkannte Evianna keinerlei Ähnlichkeit zu der Frau, die sie suchte. Sie knipste das Licht wieder aus und schob den Mann zurück in den schmalen Flur.„Die Lieferung von Desco heut’ Abend. Ich will die Rechnung sehen.“
Der Mann schlurfte in die Küche, in der sich das schmutzige Geschirr türmte. Aus einem Berg von Müll sammelte er die zerknüllte, fleckige Rechnung und reichte sie Evianna, die angewidert zurückwich.„Auseinanderfalten“, zischte sie. Der Mann strich den schmalen Streifen Papier an der Tischkante glatt und hielt ihn Evianna unter die Nase. Darauf waren zwei Fertiggerichte, zwei Flaschen Wein und eine Flasche vom billigsten Fusel berechnet.
„War’s das?“, fragte er und warf die Rechnung zurück in den Müll.
„Für’s erste“, sagte Evianna und obwohl sie selbst nicht daran glaubte, fügte sie noch hinzu: „Vielleicht komme ich später noch mal auf sie zurück.“ Sie verließ die Wohnung. Vor dem Wohnblock atmete sie ein paar Mal tief ein und aus, froh darüber dem penetranten Mief dieser Behausung entkommen zu sein.
Die achte Adresse lag nicht weit entfernt und die Durchsuchung der Wohnung brachte ebenso wenig ein, wie zuvor. Da es sich bei der neunten Adresse um ihr eigenes Haus handelte, ließ Evianna sie aus und machte sich auf den Weg zu Nummer zehn, was sie an den nordwestlichen Stadtrand führte. Das Haus befand sich in gutem Zustand. Evianna warf einen neidischen Blick auf den frisch gemähten Rasen und auf die liebevoll angelegten Beete, in denen keinerlei Unkraut wuchs. Auf ihr klingeln öffnete ein attraktiver Mann, nur mit einer Jeans bekleidet. Evianna zeigte ihm ihren Dienstausweis.
„Sieh mal einer an“, sagte er lächelnd und seine Fänge blitzten auf.
Also gehörte dieser geschmackvolle Garten mit dem netten Häuschen darauf einem Vampir. Evianna erwiderte sein Lächeln nicht.
„Worum geht es?“, fragte er gleichgültig.
Wie schon zuvor verzichtete Evianna auf eine Erklärung und schob sich an dem Vampir vorbei.
„Zieh’ dir was an, Reto. Wir haben Damenbesuch“, rief er über die Schulter und schloss die Tür. Eviannas Hand wanderte in Richtung Waffe.
Aus einem der Hinterzimmer kam ein Mann hervor, der es gerade noch schaffte seine Shorts hochzuziehen, bevor Evianna ihn entdeckte.
„Was ist los?“, fragte er verwirrt und sah dabei abwechselnd zwischen Evianna und dem Vampir hin und her.
Evianna begutachtete die diversen Narben an Retos Hals, Handgelenken und Hüften. Er war ein Mensch und offensichtlich diente er diesem Vampir als Nahrungsquelle. „Sind sie freiwillig hier?“, fragte Evianna und spähte dabei in alle anderen Räume. Sie waren leer.
„Was? Ja! Ich versteh’ das nicht“, stotterte Reto und kratzte sich den flachen
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