Evies Garten (German Edition)
Tragödie zu leben, die wie eine dunkle Wolke über deinem Kopf schwebt. Die Leute sind ums Grundstück geschlichen, und die Kinder haben eine Mutprobe daraus gemacht, unseren Garten zu betreten. Manche Leute haben meinem Vater an allem die Schuld gegeben und herumerzählt, er hätte sich auf seinen Reisen irgendeinen Virus eingefangen, der ihm seine Tochter geraubt und all seine Bäume getötet habe. Andere verbreiteten, dass Rodney seine Schwester umgebracht und sie im Obstgarten vergraben hat, und dass deshalb die Bäume verflucht sind.
Rodney wohnte sein Leben lang hier. Manchmal half er mir im Laden und manchmal nahm er einen Nebenjob an, aber sein Leben war eigentlich vorbei. Er hat sein Leben lang nur darauf gewartet, dass Eva zurückkommt. Er war der Letzte, der sie lebend gesehen hatte, und er war sicher, er würde auch der Erste sein, der sie wiedersehen würde.«
Maggie hielt inne. »Wir werden wohl nie herausfinden, was wirklich mit Eva passiert ist«, meinte sie nachdenklich. Doch während sie sprach, warf sie einen Blick auf Evies Kästchen. Evie überfiel wieder das ungute Gefühl, dass Maggie mehr wusste, als sie sagte.
Vater lehnte sich zurück. »Was für eine Geschichte.«
Maggie nickte. Die Flammen malten Schatten auf ihr Gesicht. »Ihr werdet in der Gegend eine Menge Gerede über den Fluch hören. Die Leute geben ihm für alles die Schuld, angefangen von den toten Apfelbäumen bis hin zu Hausschlüsseln, die sie verlegt haben. Und mich stört es – das gebe ich offen zu. Aber Rodney war es egal. Er unternahm einfach alles Mögliche, um die Bäume wieder zum Leben zu erwecken. Er hat auch immer wieder neue Bäume gepflanzt, aber sie sind nie gewachsen …«
Maggie unterbrach sich. »Ach du meine Güte!«, rief sie. »Das ist nicht gerade das, was ihr hören wollt, nicht wahr?« Sie sah Vater erschrocken an. »Ehrlich, Rodney hatte schon viele Jahre nicht mehr die Kraft, im Garten zu arbeiten. Ich bin sicher, welche Baumkrankheit die Apfelbäume auch immer befallen hat – sie ist längst verflogen.«
Dann stand sie auf. »Warum kann ich nur meinen Mund nicht halten?« Sie schüttelte den Kopf. »Dabei ist es schon spät geworden … Ihr wollt heute Abend sicher nicht lauter alte Geschichten hören.«
Vater erhob sich. »Wir haben Sie gelöchert, und jetzt sind Sie müde«, stellte er fest. Maggie wirkte tatsächlich erschöpft. Zum ersten Mal, seit sie ihr begegnet waren, sah sie alt aus und ihre Augen wirkten matt.
»Ich wünschte, ich könnte noch länger bleiben«, sagte sie, doch Evie nahm ihr das nicht ab. Im Gegenteil. Maggies eilige Bewegungen zeigten ihr, dass die alte Frau es jetzt kaum noch erwarten konnte zu gehen.
Vater brachte sie zur Haustür.
»Wartet!«, rief Evie und rannte hinter den beiden her. Vater und Maggie drehten sich um, doch Evie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.
»Danke«, sagte sie schließlich. »Für das Geschenk.«
Maggie nickte bedächtig. »Ich habe den Verdacht«, sagte sie schließlich, »dass das Geschenk viele Geheimnisse birgt.»
Dann ging sie auf Evie zu, nahm sie an beiden Händen und drückte sie fest.
»Sei vorsichtig, Eva«, flüsterte sie. » Nimm dich in Acht .«
Träume
In dieser Nacht träumte Evie, sie sei die verschwundene Eva. Im Traum flog sie mit Alex ins Niemandsland, wo sie einen wunderschönen Garten fanden – genauso herrlich wie der, von dem ihre Mutter erzählt hatte. Mitten in dem Garten stand ihre Mom und brachte lächelnd alles um sich herum zum Wachsen. Als Evie auf sie zuschwebte, wandte sie sich um.
»Siehst du?«, sagte ihre Mutter. »Ich warte schon auf dich.«
Evie rannte auf sie zu, doch je näher sie ihrer Mutter kam, desto schneller schrumpfte der Garten in sich zusammen. Die prächtigen Farben verfärbten sich schwarz, Zweige schlangen sich um Evies Arme und Beine und zerrten sie weg, noch ehe ihre Fingerspitzen die ausgestreckten Arme ihrer Mutter berühren konnten.
Als Evie aufwachte, saß sie senkrecht im Bett. Sie sah sich verwirrt um, doch ihr Zimmer sah genauso aus wie gestern Abend beim Einschlafen. Es war früh am Morgen, und wie meist war der Himmel draußen vor dem Fenster trüb und dunkelgrau.
Evie stand auf und knipste den Lichtschalter an, um den Traum abzuschütteln. Sie ging zum Nachttisch und nahm das Kästchen mit dem Saatkorn in die Hand. Evie nahm den Deckel ab und wartete. Wieder hatte sie den Eindruck, dass eine leichte Brise durch den Raum zog, aber wahrscheinlich war
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