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Evies Garten (German Edition)

Evies Garten (German Edition)

Titel: Evies Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.L. Going
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vor. »Ich will dir die Wahrheit sagen, Eva«, erklärte sie. »Zuerst dachte ich, dein Vater sei genauso wie mein Bruder – ein alter Junggeselle, der an körperliche Arbeit im Freien gewöhnt ist, und der herzieht, um hier seinen Lebensabend alleine zu verbringen. Selbst als ich ihn beim Notartermin kennenlernte, hab ich das noch gedacht. Aber dann ist er mit dir hier aufgetaucht und nun heißt du auch noch genauso wie meine seit Langem vermisste Schwester – na, ist das nicht seltsam?«
    Maggie betrachtete Evie, wie eine weise alte Eule die Welt unter ihrem Baumwipfel beobachtet: ruhig und mit scharfem Blick, damit ihr keine einzige Bewegung entgeht.
    Evie drehte das Kästchen in den Händen hin und her. »Warum sollte er mir etwas schenken?«, fragte sie verwundert. In diesem Augenblick kam Vater ins Zimmer. Er trug ein Tablett mit dampfenden Suppenschüsseln und frischem Krustenbrot mit Honig.
    »Wer hat dir ein Geschenk gemacht?«, wollte er wissen, während er das Tablett auf dem Tischchen vor dem Kamin abstellte. Evie sah Maggie fragend an, doch Maggie nickte.
    »Rodney«, sagte Evie und hielt Vater das Kästchen hin. Er ließ sich zwischen Maggie und Evie auf dem Boden nieder.
    »Na, dann mach es auf!«
    »Ich bekomme den Knoten nicht auf«, sagte Evie und versuchte, die Schnur abzureißen.
    Vater holte sein Taschenmesser heraus und machte sich an dem festen Garn zu schaffen. »Jemand wollte sichergehen, dass keiner dieses Kästchen aufmacht«, versuchte er zu scherzen und mühte sich weiter mit den Fäden ab. Schließlich war der letzte Bindfaden zerschnitten, und er gab Evie das Kästchen zurück. Maggie straffte die Schultern und beugte sich vor. Evie hielt den Atem an, auch wenn das albern war. Was sollte schon drin sein in dem Kästchen? Trotzdem hob sie hastig den Deckel ab.
    Was in dem Kästchen lag, hatte sie tatsächlich nicht erwartet.
    Es war ein einzelnes Saatkorn.
    Als Evie es im Flackern des Kaminfeuers genauer betrachtete, hatte sie auf einmal das Gefühl, ein Luftzug würde an ihr vorbeistreichen. Doch gleich darauf war er wieder weg und die Flammen knisterten laut.
    »Was zum …« Maggies Gesicht war so grau geworden wie die Asche.
    Vater aber lehnte sich vor und pickte das Saatkorn behutsam aus dem Kästchen. Er hielt es zwischen seinen dicken Fingern.
    »Ich habe noch nie so ein Saatkorn gesehen«, stellte er fest. »Es ist wohl schon ziemlich alt. Schade, ich hätte doch gern gesehen, was daraus wird.« Er runzelte die Stirn. »Es ist wohl ein symbolisches Geschenk, um uns gutes Gelingen mit der Apfelplantage zu wünschen.«
    Maggie schwieg. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schaute ins Feuer, und Evie hatte das deutliche Gefühl, dass Maggie ihnen etwas verschwieg. Vater gab Evie das Körnchen zurück, und sie drehte es auf der Handfläche um. Es lag wie etwas Lebendiges in ihrer Hand, und trotz der Wärme des Kaminfeuers fröstelte Evie.
    Sie legte das Korn zurück ins Kästchen und machte den Deckel fest zu. Für einen Augenblick empfand sie deutlich die Veränderung, die in der Luft lag.
    Dann zerschlug Vaters Stimme ihre düstere Vorahnung.
    »Hier, die Suppe ist fertig.« Er reichte Evie und Maggie die dampfenden Schüsseln. Evie schüttelte sich und wandte sich der warmen Mahlzeit zu. Es war eine Hühnercremesuppe mit Reis – sie hatte die Dosen gesehen. Doch wie früher, als Vater noch gerne gekocht hatte, hatte er sie mit frischen Zutaten angereichert: Karotten, Sellerie, Champignons in Scheiben und Maiskörner. Während sie aßen, war es still.
    Dann wandte sich Evie an Maggie: »Was ist eigentlich mit Ihrer Schwester passiert?«, wollte sie wissen.
    Maggie legte die Hand auf ihre Stuhllehne und umschloss sie fest. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte sie. »Bist du sicher, dass du sie hören willst?«
    Vater nickte, doch Maggie sah Evie an.
    Evie nickte zögernd.
    Maggie holte tief Luft. »Dann fange ich am besten ganz von vorne an …«

Maggies Geschichte
    »Rodney hat immer gesagt, dass unsere Familie glücklicher war als erlaubt, bevor Eva verschwand.
    Mein Vater war Botaniker und außerdem ein echter Schatzsucher. Er reiste in der ganzen Weltgeschichte herum und sammelte exotische Pflanzen und alle möglichen Kostbarkeiten. Meine Mutter war mit Rodney und Eva zu Hause, weil sich das damals für Frauen so ziemte. Dann kaufte Pap dieses Grundstück mit den Apfelbäumen und schenkte es unserer Mutter, damit wir Kinder an diesem schönen Ort aufwachsen

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