Evies Garten (German Edition)
riss die Arme hoch, und seine Augen strahlten in der Sonne. »Es ist absolut perfekt hier!«, sagte er glücklich und pflückte noch einen Apfel. Er warf ihn Evie zu, die ihn ohne zu zögern auffing.
»Glaubst du, das hier ist dein Garten?«, fragte Alex. »Vielleicht ist es auch der Himmel.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Evie. »Ich hab mir meinen Garten anders vorgestellt – mit Wasserfällen und Schlössern und Tieren drin.« Und mit meiner Mom , dachte sie und sah sich noch einmal suchend um. »Es sieht hier immer noch aus wie in Vaters Apfelgarten, aber niemand kann so viele Blumen pflanzen, selbst wenn er sein ganzes Leben damit verbringt.«
Sie standen in einem wogenden Blumenmeer.
»Wer sagt denn, dass der Himmel nicht aussieht wie die Erde – nur schöner?«, meinte Alex. »Komm mit! Wir wollen uns alles ansehen.«
Sie gingen zwischen den Apfelbäumen hindurch, wanderten aus der mittleren Reihe hinaus und wieder hinein. Evie hielt nach Zeichen für die Gegenwart ihrer Mutter Ausschau – vielleicht ein Zettel wie bei einer Schnitzeljagd oder eine Sandale, die ihre Mutter verloren haben könnte, als sie ihnen vorauseilte. Doch sie fand nichts.
Allmählich ging sie langsamer, und Alex war ihr so weit voraus, dass er sie aus den Augen verlor und zu ihr zurückrennen musste.
»Ich frage mich, ob die Bäume irgendwann mal aufhören«, sagte er atemlos, und für einen Augenblick fürchtete Evie, sich verlaufen zu haben. Eine heiße Welle der Angst überkam sie, doch sie schüttelte das Gefühl ab.
»Wir könnten auf den höchsten Baum steigen und nachsehen.«
»Das mache ich«, sagte Alex und klemmte schon den Fuß in die Astgabel eines Baums, der etwas größer aussah als die anderen. Er zog sich hoch, kletterte von Ast zu Ast und hielt nur einmal an, um einen dicken roten Apfel zu pflücken.
»Alex, du weißt nicht, was mit dir passiert, wenn du …«
Er biss hinein, bevor Evie ihn davon abhalten konnte, und sie hielt den Atem an, doch dieses Mal geschah nichts.
»Es hat nicht funktioniert«, stellte Alex enttäuscht fest. »Es funktioniert wohl nur mit den Äpfeln von dem Baum, den wir gepflanzt haben.«
Entweder das – oder wir sitzen in der Falle , dachte Evie, aber wieder schob sie die Angst beiseite. Alex hatte sicher recht. Ihr Baum war als Einziger verzaubert, also hatten auch nur seine Äpfel magische Kräfte …
Evies Gedanken wurden durch einen schrillen Schrei unterbrochen.
»Land in Sicht«, brüllte Alex vom Baumwipfel. »Ich kann euren Pick-up sehen, Evie, und den Friedhof, und da drüben ist euer Haus. Es ist gar nicht weit …«
»Die Welt wäre mein Garten, Evie, Liebling. Die ganze Welt.«
Ob Mom im Haus auf sie wartete?
Evie rannte los, so schnell sie konnte. Das hohe Gras streifte sie, während sie einen Streifen aus bunten Blumen zertrampelte, aber es war ihr egal. Es war ihr sogar egal, dass Alex nach ihr rief. Sie rannte bis zur Veranda.
Hier blieb sie kurz stehen, um nach Luft zu schnappen. Im Garten blühten Tulpen und Osterglocken um die Wette, und die Weide, die immer an ihre Fensterscheibe klopfte, war so üppig und breit, dass ihre Zweige den Boden berührten. Der Kirschbaum trug eine schwere Last aus reifen roten Kirschen, und ihr Haus war so strahlend weiß, als wäre es gerade frisch gestrichen worden. Die Seitenwände waren mit winzigen weißen Blüten zugewachsen, und die Fensterläden, einst grau und verwittert, erstrahlten in einem leuchtenden Blau unter einer blühenden Waldrebe.
Evie lachte voller Vorfreude. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, war sie schon die Stufen hinaufgerannt.
Sie stürmte ins Haus.
»Mom!«
Evie eilte vom Wohnzimmer in die Küche, doch beide Räume waren leer.
»Mom?«, wiederholte sie verwirrt. »Wo steckst du?«
Dann blieb sie stehen.
Natürlich war Mom nicht in der Küche. Ihre Mutter war als Köchin eine absolute Niete! Und sie war auch sicher nicht im kalten, zugigen Wohnzimmer, in dem es noch nicht einmal Bücher gab. Mom konnte nur oben in Evies Zimmer sein. Sie hatte bestimmt schon die Farben herausgeholt und die Staffelei aufgestellt. Und sie hatte eines von Großmutters berühmten Erdnussbutterplätzchen stibitzt.
Evie raste die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. »Mom! Hier bin ich! Ich bin gekommen, genau wie ich gesagt habe!«
Voller Vorfreude riss sie die Tür zu ihrem Zimmer auf. Doch gleich darauf stiegen ihr die Tränen in die Augen.
Das Zimmer war leer.
Evie stolperte
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