Evies Garten (German Edition)
hinaus. Sie durchsuchte das gesamte Obergeschoss, aber das Haus war leer. Schließlich ging sie in ihr Zimmer zurück und machte den Schrank auf. Sie sah sogar unter dem Bett und hinter der Kommode nach.
Wie war es möglich, dass ihre Mutter nicht hier war? Evie hatte doch das Korn gepflanzt und den Apfel gegessen!
Irgendwann rief Alex nach ihr, doch sie reagierte nicht. Stattdessen verriegelte sie ihre Tür und igelte sich auf ihrem Bett ein.
Wieso gab es diese verzauberte Welt, wenn ihre Mom nicht hier war?
Evie rührte sich lange nicht. Die Tränen zeichneten salzige Spuren in ihr Gesicht. Schließlich stand sie auf und entriegelte das Fenster. Sie lehnte sich auf den Fenstersims und legte den Kopf auf die Arme. Unten hörte sie Alex’ Schritte auf der Veranda. Die großen Blüten der Waldrebe ergossen sich über die Holzläden. Sie zog einen Blütenstrang durchs Fenster zu sich hinein und strich zart über die blauen Blumen.
Vielleicht war sie im falschen Garten gelandet.
Evie machte die Augen zu. Ihr fiel Moms winziges Blumenbeet in Michigan ein. Deutlich sah sie die Waldrebe, die Mom gepflanzt hatte – nur waren die Blüten weiß gewesen statt blau. Fast konnte sie ihre Mutter mit der Gießkanne sehen, und sie wünschte sich von ganzem Herzen, das Saatkorn hätte sie in diesen Garten zurückgebracht und in die Zeit, bevor all die schlimmen Dinge passiert waren.
»Könnte ich doch nur machen, dass alles wieder richtig ist«, flüsterte sie.
Sie öffnete die Augen und wischte die Tränen mit dem Handrücken weg. Dann schniefte sie laut. Sie wollte sich gerade umdrehen, als ihr Blick auf den Blütenstrang im Fenster fiel. Die Blüte in der Mitte war weiß.
»Wie kommt denn das ?«, rätselte Evie laut, doch ihr blieb keine Zeit, es herauszufinden, denn Alex kam die Treppe herauf.
»Evie, bist du dadrin?«, rief er. »Wenn du Verstecken spielen willst, dann hast du schon verloren, weil ich dich vom Baum aus genau gesehen habe. Dazu brauche ich noch nicht mal meine Geisterkräfte.«
Evie entriegelte die Tür und hoffte, dass Alex ihre geröteten Wangen und verweinten Augen übersehen würde.
»Was ist denn los?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
Evie zuckte mit den Schultern. »Ach, nichts. Ich dachte bloß, dass meine Mom hier ist, das ist alles.«
»Sie wird kommen«, sagte er leichthin und ließ sich auf ihr Bett fallen. »Wahrscheinlich wartet sie hier irgendwo auf dich. Vielleicht sind draußen viele Leute … in der Stadt … oder …«
Evie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, Alex«, gab sie zu bedenken. »Was ist, wenn sie immer noch tot ist?«
»Sie ist nicht tot«, entgegnete Alex grob und setzte sich auf. »Mir glaubst du ja nie, aber wir werden sie alle finden.«
Sie alle ?, fragte sich Evie verwundert. Wen suchten sie denn sonst noch? Doch bevor sie Alex fragen konnte, fiel ihm der Blütenstrang auf. »Hey, sieh dir die Blume an! Da sind lauter blaue drum herum und nur eine weiße in der Mitte!«
»Ich weiß«, bekannte Evie. »Ich habe ihre Farbe verändert.«
Vor Staunen fielen Alex die Augen fast aus dem Kopf. »Du hast was getan? Und wann wolltest du mir das erzählen?«
Evie zuckte mit den Schultern. »Ist das denn so wichtig?«
»Wichtig? Vielleicht haben wir Superkräfte – und das ist dir völlig schnuppe?« Alex sprang vom Bett. »Los, sag, wie hast du das hingekriegt?«
»Ich … na ja, ich hab mich an Moms Garten zu Hause erinnert, weil wir früher Waldreben hatten, aber Mom mochte nur die weißen. Also hab ich mir weiße gewünscht, und als ich wieder hingesehen habe …«
Alex nahm einen der blauen Blütenstränge in die Hand und kniff die Augen zu, während er den Stängel fest drückte. Als nichts geschah, hob er den Kopf.
»Bei mir funktioniert es nicht«, sagte er missmutig.
»Natürlich nicht. Du hättest die armen Blüten ja fast zerquetscht!«
Erneut kniff Alex die Augen fest zu, doch wieder tat sich nichts.
»Versuch du es.« Er drückte ihr den Blütenstrang in die Hand. »Probier mal, ob es beim zweiten Mal wieder klappt.«
Evie seufzte und streichelte die weichen Blätter einer Blüte. Sie schloss die Augen und dieses Mal spürte sie ganz deutlich, wie sich die Blüte unter ihren Fingerspitzen veränderte. Sie konnte fühlen, wie eine zarte Lebensströmung durch sie hindurchfloss, und sie die Dinge nach ihrem Willen verändern konnte.
»Wow«, murmelte Alex. Dann machte er wie Evie die Augen zu. »Warte, ich werd mir was anderes
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