Evies Garten (German Edition)
wünschen – Schokolade oder ein Flugzeug oder, nein, warte … Ich wünsch mir eine Million Dollar.«
Evie lachte, denn sie hatte nur einen Wunsch. Mom .
Dann konzentrierten sich beide mit geschlossenen Augen und mit aller Macht auf ihre Wünsche. Schließlich zuckte Alex mit den Schultern und machte die Augen auf.
»Hat sich irgendwas verändert?«, fragte er.
Evie schüttelte den Kopf.
»Das macht nichts«, sagte Alex bestimmt. »Ich wette, wir brauchen bloß mehr Übung. Komm«, fügte er hinzu, »wir gehen in die Küche und wünschen uns einen riesigen Schokoladenkuchen herbei.«
Er rannte die Treppe hinunter. Evie folgte ihm langsam, doch bevor sie ihr Zimmer verließ, drehte sie sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die strahlend weißen Waldreben.
Das Haus des Alex Cordez
Sosehr sich Evie auch bemühte, sie brachte keinen Schokoladenkuchen zustande. Tatsächlich konnte sie nichts von dem herbeiwünschen, worum Alex sie bat. Das Einzige, was sie verändern konnte, war die Grünlilie im Wohnzimmer, die sich von der langen Fahrt von Michigan hierher nicht erholt hatte. Evie legte die Hand auf die eingerollten bräunlichen Blätter und wünschte, dass sie wieder wachsen würden.
»Lebt«, flüsterte sie, und die verdorrten Blätter wurden Stück für Stück wieder saftig und hellgrün.
»Ich hab es geschafft!«, sagte Evie strahlend.
Alex, der mitten im Zimmer stand, verzog das Gesicht. »Gib bloß nicht so an«, sagte er, als die Pflanze schon doppelt so groß war wie vorher und bis zum Boden reichte.
»Ich gebe gar nicht an«, verteidigte sich Evie. »Warum wünschst du dir auch lauter Zeug, das du eh nicht haben kannst? Versuch doch lieber, etwas Lebendiges zu verändern. Ich glaube, es funktioniert nur bei lebenden Dingen.«
Seufzend stieg Alex über ein Blatt, das sich auf dem Boden ringelte, und ging durchs Wohnzimmer. »Hey«, sagte er, »sag der Pflanze, sie soll aufhören zu wachsen.«
Evie betrachtete die Pflanze. Sie wuchs wirklich ständig weiter und füllte schon die ganze Zimmerecke aus.
»Hör auf zu wachsen!«, befahl sie etwas erschrocken, als die Pflanze jetzt schon ihre dünnen Blätter über den Teppich schob.
Alex stieg auf den Couchtisch. »Tu doch irgendwas!«, rief er.
»Ich versuch es doch schon!«, rief Evie zurück.
Sie spürte das nun schon vertraute Lebensgefühl, das durch ihren Körper strömte, während die Pflanze allen Befehlen, die sie ihr erteilte, trotzte und weiterwuchs. Dann fühlte Evie plötzlich unter der Wärme ein Frösteln. Vaters Stimme drang an ihr Ohr: »Es gibt eine Zeit zum Leben und eine Zeit zum Sterben. Das Leben verläuft in Zyklen, Evie. So soll es auch sein.«
Mittlerweile bedeckte die Lilie den Boden wie ein Teppich aus Blättern. »Schieb sie zurück«, sagte Alex entsetzt, als die ersten Ausläufer sich wie Wellen um ihn herum erhoben. Sie hatten jetzt auch Evie erreicht und kletterten an ihr hoch bis an den Hals, sodass sie Angst bekam erdrückt zu werden.
Widerstrebend streckte sie die Hände aus und stellte sich vor, dass die Pflanze verkümmerte. Sofort stoppte der Fluss warmer Energie in ihr und es floss stattdessen ein eiskalter Strom durch Evies Körper. Überrascht hielt sie sofort inne, aber die Pflanze hatte sich schon dorthin zurückgezogen, wo sie hingehörte.
Evie lief ein Schauer über den Rücken. Was hatte sie nur getan?
Doch Alex sprang unbekümmert vom Couchtisch herunter. »Mann, das war cool«, sagte er und betrachtete die zusammengeschrumpfte Pflanze. »Lass uns jetzt zu mir gehen.«
Evie zögerte. »Alex, hast du mal an den Baum gedacht?«, fragte sie. »Wer weiß, wie lange er so blüht. Vielleicht sollten wir lieber zurückgehen.«
»Bist du verrückt?«, fragte Alex. »Auf keinen Fall gehen wir nach Hause, bevor ich unsere neuen Superkräfte ausgetestet habe! Und außerdem haben wir den Garten noch gar nicht richtig ausgekundschaftet. Kein Zurück, weißt du nicht mehr?«
Evie wollte widersprechen. Sie überlegte, ob sie das eisige Gefühl erwähnen sollte, das sie in den Fingerspitzen gespürt hatte, doch Alex war schon an der Haustür.
»Los, komm! Wer als Letzter im Garten ist, hat verloren!«
Ohne zu zögern sprintete er los. Evie schüttelte sich und zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als auch sie schließlich von der Veranda heruntersprang, war Alex schon auf dem Friedhof und rannte im Slalom zwischen den Grabsteinen hindurch. Evie bemühte sich, ihn einzuholen.
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