Evies Garten (German Edition)
großen Stein. Es war eine graue rechteckige Platte, die noch neu aussah.
Alex blieb abrupt stehen. »Hier ist es«, sagte er.
Evie kniete sich hin und strich mit dem Zeigefinger über die Buchstaben, die in den Stein gemeißelt waren: RODNEY CLAYTON.
»Tatsächlich«, sagte sie. Es war, als wenn man eine Geschichte erfindet und dann feststellt, dass jedes erfundene Detail wirklich wahr ist. »Ich sollte jetzt wohl das Saatkorn einpflanzen.«
»Kein Zurück mehr, weißt du noch?«
Evie holte das Kästchen aus der Tasche und öffnete den Deckel. Ein eisiger Wind wirbelte um sie herum.
»Wow, irgendwas passiert«, flüsterte Alex.
Evie beugte sich hinunter und grub ein kleines Loch. Sie musste gegen den Wind ankämpfen, der immer heftiger an ihnen zerrte, während sie in der Erde grub. Fast erfroren ihr die Finger, doch schließlich drehte sie ihre Handfläche um und ließ das Korn in die eisige Erde fallen. Sie bedeckte das Loch mit den losen Erdkrumen, und so schnell wie der Wind aufgekommen war, legte er sich wieder. Im Apfelgarten wurde es auf einmal totenstill.
Sie warteten ab und passten auf, ob sich irgendetwas Ungewöhnliches tat.
»Meinst du, irgendwas passiert?«, fragte Evie.
Alex antwortete im Flüsterton: »Ich sehe keine anderen Geister, wenn du das meinst.«
Evie spürte, wie sich wieder Enttäuschung in ihr regte.
Es war eben doch nur ein altes vergammeltes Saatkorn.
Dann richtete sich Alex auf. Seine Augen weiteten sich vor Staunen. Er kniete sich neben Rodneys Grab und starrte auf den gefrorenen Boden.
»Was ist?«, fragte Evie.
Alex drehte sich zu ihr um und grinste.
»Das Saatkorn«, sagte er. »Es wächst!«
Der Baum
»Siehst du das?« Alex zeigte auf die angehäufte Erde.
Evie strengte die Augen an, um etwas zu erkennen.
»Genau da!«, sagte Alex und hüpfte von einem Fuß auf den anderen.
Evie kniff die Augen zusammen und starrte auf den Boden neben dem Grabstein, aber sie sah nur harte braune Erdkrumen und vertrocknete Grashalme.
»Ich … ich sehe nichts«, sagte sie, doch Alex schüttelte den Kopf.
»Du siehst mit den Augen«, stellte er fest. »Du musst mit etwas anderem sehen, hast du das vergessen?«
Evie biss sich auf die Lippe. »Ich weiß nicht, wie«, sagte sie, aber sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, merkte sie, dass es nicht stimmte. Natürlich wusste sie, wie! Mit klopfendem Herzen und zusammengekniffenen Augen schaute sie erst auf den Boden, dann schloss sie die Augen, atmete tief ein, und als sie sie wieder öffnete, sah sie es.
Ein winziger grüner Spross brach aus der Erde.
Evie hielt den Atem an. »Ich seh es!«, rief sie, und Alex tanzte im Kreis. Der Spross schoss jetzt so schnell in die Höhe, dass er im Nu doppelt so groß war. Evie dachte an Moms Geschichten über Zauberei und dann fiel ihr ein, dass sie unlängst zu ihrem Vater gesagt hatte, sie würde nicht länger an Magie glauben.
Aber vielleicht glaubte die Magie noch an sie ?
Der Spross war jetzt schon so groß wie Alex, dann wurde er doppelt so groß und plötzlich war er dreimal so groß! Schon begannen die ersten dünnen Zweige zu sprießen.
»Es wird ein Baum«, flüsterte Evie atemlos, und ihre Vision fiel ihr wieder ein.
»Ich wette, es ist ein Apfelbaum«, sagte Alex, »aber kein toter. Es wird ein richtiger lebendiger Apfelbaum mit Äpfeln und allem Drum und Dran.«
Der Stamm des Baums wurde dicker, und jeder Ast trieb Hunderte von winzigen weißen Blüten aus. Vor ihren Augen bildeten sich saftige rote Früchte. Apfelblüten schwebten herab, bis sie den Boden mit einem weichen Teppich aus duftigen weißen Blättern bedeckten. Die Luft war von einem klaren, frischen Duft erfüllt, der so ganz anders war als der erdige Mostgeruch, der über dem restlichen Apfelgarten hing.
»Er lebt tatsächlich«, murmelte Evie und streckte die Handflächen aus, als würde sie im Regen laufen. Die Luft fühlte sich so warm und frisch an wie an einem Spätsommertag. »Sieh mal, es wachsen immer mehr und mehr Blätter und Blüten.«
Sie streckte die Hand nach dem Baumstamm aus, zog sie aber in letzter Sekunde wieder zurück. Was war, wenn der Baum doch nicht wirklich war?
»Ich tu es«, verkündete Alex. »Geisterhände können einen Zauber nicht zerstören.«
Er ging ganz nah an den Baum heran und drückte beide Handflächen fest gegen den Stamm. Dann drehte er den Kopf und grinste Evie an. »Na, komm schon«, drängte er. »Man kann ihn wirklich anfassen.«
Evie kam einen Schritt
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