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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Gewehr zum Angriff. Erik sah ihn nur von hinten, konnte aber an seiner Haltung ablesen, dass er gleich verweigern würde.
    »Jetzt bring’s schon hinter dich, damit wir nach Hause können«, bat Biber in einem raschen Taktikwechsel.
    »Nein«, sagte Pierre deutlich. »Das hier ist unter meiner Würde. Es ist zu dumm, und deshalb tu ich’s nicht.«
    Das Weiß der Biberaugen im schwarz verschmierten Gesicht wurde immer größer und die Schneidezähne im weit offenen Mund leuchteten gelb. Am Ende riss er sich zusammen und sagte, in den Streitkräften habe man Befehlen zu gehorchen, jetzt also bitte wenigstens einen kleinen Angriff, er brauche das Bajonett nicht zu drehen, wenn ihm das zu realistisch erscheine.
    »Nein, ich hab gesagt, was ich zu sagen habe«, sagte Pierre.
    »Ich weigere mich ganz einfach und jetzt gehe ich.«
    Dann warf er sich seine Mauser über die Schulter und ging mit ruhigen Schritten davon. Die anderen sahen ihm schweigend nach.
    »Komm sofort zurück, das ist ein Befehl!«, brüllte Biber. Aber Pierre drehte sich kein einziges Mal um. Er ging gelassen weiter bis zu den Baracken.
    Als das Licht gelöscht war, lagen sie noch lange wach und versuchten zu verstehen, was sie erlebt hatten. Es verhielt sich so, dass Pierre nicht bei der Heimwehr bleiben wollte und Erik natürlich auch keine Lust mehr hatte, wenn Pierre nicht dabei war, lieber Arrest, dachte er, als mit Biber Krieg spielen. Aber warum war es gerade diese Übung gewesen, die das Fass zum Überlaufen brachte, das war eine interessante Frage. Es war eine scheußliche Übung, gewiss. Natürlich ist es scheußlich, sich vorzustellen, wie man das Bajonett in einen lebendigen Menschen bohrt. Obwohl man es im Ernstfall wahrscheinlich tun würde. Im Krieg würde man natürlich versuchen, sein Land zu verteidigen. Das hier war nur etwas ganz anderes. Die unwirkliche Szenerie mit dem durchgeknallten Biber mitten auf dem kleinen Fußballplatz, mit seiner bescheuerten Mütze und der Tarnfarbe im Gesicht und den Augen, die er verdrehte wie ein altmodischer Filmneger, war das eine. Und dann war da die Schlange vor ihnen, Mittelschüler und Gymnasiasten, die alle nicht das Komische oder Eigentümliche oder Peinliche an der Sache sahen, die brüllten und rannten und zustachen, als wäre es das Normalste von der Welt. Das war vielleicht das Widerwärtigste, das und die Tatsache, dass es so typisch für Stjärnsberg war. Hätte man irgendwo anders Schüler zu so etwas bringen können? Und war es nicht typisch, dass die Ratis am lautesten gebrüllt hatten? Oder hatten sie sich das nur eingebildet? Nein, Erik und Pierre waren sich sicher, dass die Ratis am lautesten gebrüllt hatten. Und das war vielleicht das Allesentscheidende gewesen.
    »Als ich da stand und zögerte«, erzählte Pierre, »und als ich Biber und diesen verdammten Strohsack sah, oder vielmehr das bisschen, das ich durch meine zugeregnete Brille überhaupt noch erkennen konnte, da war ich mir plötzlich ganz sicher, dass die Ratis solche wie dich und mich dort aufgehängt gesehen haben, und keine Strohsäcke. Dass sie darum mit solchem Eifer dabei waren.«
    »Du spinnst. Die lieben Gewalt und das Gefühl, eine Waffe in der Hand zu halten, und das ist ja auch nicht ganz ohne. Aber wenn sie einen richtigen Menschen vor sich gehabt hätten, hätten sie den Schnabel nicht so weit aufgerissen.« »Nein, aber ich hab mir das eben vorgestellt. Und dann war da noch die Sache mit den vielen Vulgaritäten.«
    »Den vielen was?«
    »Na ja … das Gerede über Fotzen und so.«
    »Ja, komisch, dass es ein Mathelehrer wie Biber so damit hat.«
    »Hast du …? Nein, vergiss es.«
    »Doch, sag schon.«
    »Ich dachte nur … ob du schon mal gevögelt hast.«
    Erik konnte seinen raschen Impuls, auf diese Frage die übliche Antwort zu geben, noch rechtzeitig ersticken. Pierre war sein bester Freund, da konnte er nicht lügen, so wie sonst.
    »Nein«, sagte er. »Jedenfalls nicht richtig. Und du?«
    »Ja, einmal, als ich sehr verliebt war. Aber dann musste ich hierher zurück und . ja, jedenfalls finde ich . ich musste einfach die ganze Zeit an sie denken, als Biber losgelegt hat, und mir kam das so … ach, ich kann’s nicht richtig erklären.«
    Pierre lag eine Weile schweigend in der Dunkelheit, dann sagte er: »Aber du verstehst ungefähr, was ich meine?«
    »Ja«, sagte Erik, »diese … Vulgaritäten waren wirklich schwer zu ertragen. Aber jetzt sind wir ja zum Glück entlassen.«
    Erik schwamm

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