Evil - Das Böse
anderen Zweck als dem, in Ruhe gelassen zu werden und alles andere zu vergessen, wenigstens für den Augenblick? Reagierte er so nicht nur seine wachsende Wut ab, die irgendwo im Brustkorb saß, diese Wut, die er beherrschen und unterdrücken musste, um die Explosion zu verhindern, die zum unlösbaren Konflikt mit den Paragraphen und der Immunität des Rates führen müsste? Oder war es gar nicht so oder vielleicht nicht nur so? Denn jede Bahn, die er im Becken zog, jeder Blasen wirbelnde Atemzug, jede Hantel, die er am schmutzigen Griff nach oben wuchtete, erschien ihm als Vorbereitung auf etwas, das ihn in einer nahen, aber unklaren Zukunft erwartete, vielleicht nicht das Karo, aber jedoch etwas in der Richtung.
Um laut zu denken und im Strom der ausgeatmeten Blasen sogar laut mit sich selbst zu sprechen, um darüber zu fantasieren, wie er einen Lewenheusen einholte und dann weit hinter sich ließ, um sich vorzustellen, wie er am Paffloch vorbeiging, wo die goldene Horde stand und teure englische Pfeifen rauchte, die Laffen, zu denen er irgendetwas sagte, das entweder für einen Lacher gut war oder für betretenes Schweigen sorgte - für all diese Gedanken an die Verteidigung gegen etwas, das er nicht kannte, oder einen Angriff, dem er nicht ausweichen und dem er sich nicht entziehen konnte, dem er sich übrigens auch gar nicht entziehen wollte - für alles, was sich zwischen den Blasen beim Ausatmen in seinem Kopf abspielte, war das Schwimmen gut.
Pierre hatte sich zum ersten Mal geweigert, einen Peppis hinzunehmen, was ihm natürlich einen Samstagsonntag einbringen würde, aber er hatte sich geweigert. Er hatte es ebenso überraschend entschieden getan wie an dem Tag, als er Biber bei der Bajonettübung hatte stehen lassen. Und Arne aus ihrer Klasse, der ewig den Affen gemacht und einen unangenehmen Befehl oder einen Peppis in eine komische Nummer verwandelt hatte, hatte sich auch einmal geweigert, als ihm ein Ein-Stich-Schlag drohte.
Jetzt waren sie also drei, die Strafen im Speisesaal verweigerten. Wenn sie noch drei Jungen fanden, würde das System zu wanken beginnen; obwohl man sich ja weigern durfte. Jeder hatte das Recht, Peppis zu verweigern. Es führte zwar zur Strafarbeit, aber es war möglich, sich zu weigern, ohne sich eines ernsthaften Vergehens schuldig zu machen. Und wenn man erst die Peppis los wäre, weil ausreichend viele sich weigerten, dann könnte man sich als Nächstes die Knechtdienste für die Leute aus der Abiklasse vornehmen. Der erste Schritt bestünde darin, die Ratis zu verspotten und nachzuäffen, damit sie in regelmäßigen Abständen ausgelacht wurden, im nächsten Schritt würde ihnen das Recht zu schlagen eingeschränkt, aber dazu brauchten sie die anderen von der Mittelschule.
Wende, halb verpatzte Wende, drei Züge, atmen. Der letzte Kilometer begann und damit kam die Müdigkeit und er dachte im Kreis.
Oder hatte vielleicht doch Pierre Recht, der ewig vernünftige Pierre mit seinen vielen schwer widerlegbaren Argumenten von wegen Gandhi und intellektueller Widerstand, was war das überhaupt für ein Ausdruck; wenn er nun Recht hatte und sich der Aufstand nicht lohnte, wenn es doch das Beste war, sich irgendwo in der Mitte zu halten und den Widerstand nicht fortzusetzen? Warum sollte man gegen das idiotische System anrennen, wenn man es doch in anderthalb Jahren hinter sich lassen würde und vom richtigen Leben immer noch an die sechzig Jahre übrig wären, von einem Leben, in dem es kein Stjärnsberg und keinen Vater gab, wo alles war wie auf den Universitäten in den englischen Filmkomödien, die an viel zu wenigen Samstagen statt der gewohnten Kriegsfilme gezeigt wurden? Darin spazierten elegante Komiker über Rasenflächen zwischen mit Efeu überwachsenen Mauern und kommentierten ironisch elegant die Dummheit und Brutalität der Welt. Sollte man nicht lieber auf alles pfeifen und sich auf Geometrie und Physik konzentrieren?
Perfekte Wende, drei Züge, atmen. Und das war’s.
Aber diese elegante Komiker mit den schwarzen Doktorhüten, die in ihren weiten Umhängen zwischen efeubewachsenen Mauern über Rasenflächen schritten, waren eben nicht in Stjärnsberg, sie hatten nicht anderthalb Jahre Gefangenschaft in Stjärnsberg vor sich, sie waren von allen diesen Dingen frei und lebten in ihrer eigenen Welt, die aus Gerechtigkeit und Humor bestand, also konnte man sich auch nicht mit ihnen vergleichen, denn natürlich hätten sie an seiner Stelle auch Widerstand geleistet,
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