Evolution der Leere: Roman
Gicons kleinen Welten vertraut. Es war eine Weile her, seit er sich das letzte Mal die Mühe gemacht hatte, durch ein Teleskop zu blicken - Jahrzehnte, damals, noch bevor er überhaupt einen Fuß in Makkathran gesetzt hatte.
Als er die ruhige Fünferformation umschritt, bemerkte er, dass in ihrer Mitte etwas Neues aufgetaucht war. Ein blasser Fleck aus irisierendem Licht schimmerte neben Alakkad. »Was ist denn das?«, murmelte er verwirrt. Ein Nebel konnte es nicht sein, dafür war er zu klein, zu gleichmäßig. Abgesehen davon zeigte ihm die Decke das gesamte Band Gicons, was bedeutete, dass der Flecken sich nah an Querencia befand. Ein Schweif war nicht zu sehen, also war es auch kein Komet Was nur heißen konnte ...
Edeard fiel auf die Knie, wie zum Gebet, starrte ehrfürchtig auf den kleinen, leuchtenden Fleck. »Oh gütige Herrin!« Er hatte noch niemals einen geschaut. Sich nicht einmal ausgemalt, wie sie wohl aussehen würden.
Trotzdem wusste er genau, worauf er da blickte.
Edeard legte ein weiteres Mal sein Auge an das Ende des Teleskops und vergewisserte sich, dass die Einstellung stimmte. Wieso die Linse ein Gutteil aus der großen Bronzeröhre ragte, war ihm ein absolutes Rätsel. Der Astronom, dem er es abgekauft hatte, hatte auf Nachfrage zu irgendwelchen langen Ausführungen bezüglich Brennweite angesetzt, doch das alles ergab für Edeard überhaupt keinen Sinn; dass das Ding funktionierte, reichte ihm völlig.
Den größten Teil des Nachmittags hatte er damit verbracht, es auf dem Dachgarten vor dem Studierzimmer aufzustellen, in dem Kristabel ihren Schreibtisch hatte und all den Papierkram lagerte, den sie brauchte, um das Vermögen zu verwalten. Inzwischen hatte sich die Kunde von dem neuen Interesse des Waterwalkers in der Zikkurat bis hinunter ins dritte Stockwerk verbreitet, von sämtlichen Astronomen in Makkathran gar nicht zu reden - schwatzhafte Bande, die sie waren. Es würde nicht lange dauern, bis die ganze Stadt davon wusste. Dann wurde das Leben vielleicht wieder spannend.
Und genau das ist mein eigentliches Problem mit dieser Welt. Zu verdammt sauber und proper.
Er stand auf und machte einen Katzenbuckel, um die Knoten aus seinem Rücken herauszubekommen. Seine Fernsicht strich hinaus über die im Dämmerlicht liegende Stadt. Jemand beobachtete ihn. Nicht der geheimnisvolle Neuling, nein, diese geistige Handschrift jetzt gerade kannte er nur allzu gut. Seine Fernsicht streckte sich bis ganz nach Myco hinunter und zu jenem vierstöckigen Haus am Upper Tail Canal, aus dessen oberen Fenstern ein blassvioletter Schein in das Abendzwielicht entkam.
»Hallo, Edeard«, sagte Ranalee über Longtalk. Sie stand in dem Arbeitszimmer, das vor ihr Buate und Ivarl gehört hatte. Als er sich der eigenen Sinne der Stadt bediente, um in den Raum hineinzublicken, stellte er fest, dass sie ein langes, seidenes Abendkleid mit ausgestellten Ärmeln trug; dicke Juwelen funkelten in ihrem Haar und um ihren Hals. Zwei Mädchen waren bei ihr. Sie sahen aus wie die jüngeren Töchter irgendeiner Großen Familie, die Sorte, wie sie sie für gewöhnlich mit ihren diversen dynastischen Zuchtplänen umgarnte. Die Kleider der Mädchen waren auf jeden Fall teurer als die der Kurtisanen in den unteren Etagen, und ihre Bewunderung für Ranalee war nur zu offensichtlich. Ein junger Mann befand sich ebenfalls mit ihnen im Zimmer, ein dunkelhaariger Bursche von vielleicht gerade mal zwanzig; er war mit nichts als seiner Unterhose bekleidet. Edeard mutmaßte, dass er von Adelsstand war, seine Selbstsicherheit ließ diesen Schluss zu. Dass er sich dort aufhielt, war allerdings etwas ungewöhnlich für Ranalee, aber andererseits wohl auch kein Unikum.
Edeard seufzte, als er das Trio dort vorfand, aber es funktionierte nun mal nicht, mit einem Trupp Konstabler in das House of Blue Petals zu stürmen, um Unschuldige aus Ranalees Klauen zu retten. Den Fehler hatte er bereits gemacht. Einmal war es so schlimm gewesen, dass er in der Zeit zurückgegangen war und dafür gesorgt hatte, dass es niemals geschah.
Es gab nur eine Möglichkeit, Makkathran von Ranalee zu befreien, und das würde er nicht tun. Wie sie so oft sagte: Das würde ihn zu einem der Ihrigen machen. Also harrte er aus und tat, was er konnte, um ihr auf legitime Weise Steine in den Weg zu legen.
Wie um seine Schmach zu vergrößern, hatte sie sich außerordentlich gut gehalten; vermutlich aufgrund eines Pakts, den sie im Honious geschlossen hatte, sagte
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