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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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sich mit der Theorie nicht in Einklang bringen lassen (Mitchell 2008: 57ff.). Beispielsweise verlieren die obigen Verwandtschaftsgradberechnungen ihre Gültigkeit, wenn sich die Königinnen mit mehreren Männchen paaren (wie zum Beispiel bei der Honigbiene, wo sich die Königinnen auf ihrem Hochzeitsflug mit bis zu 14 verschiedenen Männchen vereinen). Dennoch wird in solchen Insektenstaaten das gleiche zuverlässige Sozialverhalten beobachtet. Auch gibt es etliche Fälle von Altruismus im Tierreich, in denen der Nutznießer kein Verwandter ist (Zahavi/Zahavi 1998: 221ff.).
    Im Grunde handelt es sich bei der Theorie der Verwandtenselektion inklusive Hamilton-Ungleichung um eine Präzisierung der Theorie der egoistischen Gene (Dawkins 2007), denn es wird dabei implizit angenommen, Gene seien stets darum bemüht, möglichst stark in der nächsten Generation vertreten zu sein. Dazu wählten sie den Weg, der den größtmöglichen Erfolg verspricht, und der muss nicht unbedingt im Aufziehen eigener Nachkommen bestehen.
    Allerdings geht die Theorie insgeheim davon aus, dass die Individuen die freie Wahlmöglichkeit haben und sich deshalb selbstständig für den vielversprechendsten Weg entscheiden können. Dies muss aber nicht der Fall sein.
    Beispielsweise darf man in zivilisierten menschlichen Gesellschaften niemanden ermorden. Wer es dennoch tut, würde eine lebenslängliche Freiheitsstrafe erhalten und hierdurch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Ein Mensch mit „Tötungsgenen“, der in eine solche Gesellschaft von außen einwandert, hätte praktisch keine Gelegenheit, seine Gene zu verbreiten. Denn kaum hätte er jemanden ermordet, würde er durch die Gesellschaft an der weiteren Reproduktion gehindert.
    Ganz ähnlich sieht es aber bei den Ameisen aus. Nehmen wir einmal an, in einem Ameisenstock hätten alle Arbeiterinnen Gene, die sie veranlassten, selbst keine Eier zu legen, aber gleichzeitig andere Arbeiterinnen am Aufziehen ihrer Brut zu hindern. Stellen wir uns nun vor, in dieses Nest würde eine Ameise einwandern, die unbedingt eigene Nachkommen haben möchte. Dies dürfte ihr kaum gelingen, denn die anderen Arbeiterinnen würden ihre Eier fressen. Ihre Gene könnten sich also nicht durchsetzen.
    Etwas anders sähe die Situation aus, wenn ein Ameisenmännchen mit einer genetischen Mutation zur Welt käme, die dafür sorgt, dass sich Arbeiterinnen nicht länger gegenseitig am Aufziehen eigener Nachkommen hindern. Wenn nun dieses Männchen so stark wäre, dass es ihm gelänge, eine Jungkönigin eines Nachbarstocks zu befruchten, dann würde sich seine Mutation – sofern dominant – gegebenenfalls im gesamten Ameisennest ausbreiten 138 . Möglicherweise wären in der Folge viele Arbeiterinnen damit beschäftigt, eigene Eier zu legen, wodurch sich die Leistungsfähigkeit des gesamten Stocks – aufgrund der nun deutlich ineffizienteren Arbeitsteilung – erheblich reduzieren würde. Unter Umständen würde dessen straffe Organisation sogar ganz zusammenbrechen, so dass sich die Ameisenpopulation schon bald den Angriffen anderer Kolonien ausgesetzt sähe. Am Ende würden ihre Angehörigen von anderen Ameisen versklavt, was aber dem genetischen Aus gleichkäme. Auch über diesen Weg scheint es also keine erfolgreiche Verbreitungsmöglichkeit für die Gen-Mutation zu geben.
    Das Beispiel macht deutlich, dass die Verwandtschaftsverhältnisse unter den Arbeiterinnen für die Erklärung des spezifischen Sozialverhaltens von Ameisen (Staatenbildung, Kooperation, Altruismus) nicht unbedingt eine Rolle spielen müssen. Ameisenorganisationen können selbst dann stabil bleiben, wenn die einzelnen Arbeiterinnen kaum miteinander verwandt sind. Auch menschliche Gesellschaften belegen dies.
    Und viele Alternativen gegenüber ihrer üblichen straffen Organisation verbleiben den Ameisen ja nicht:
Beschaffen die Arbeiterinnen die zusätzliche Energie für ihren Nachwuchs selbst, könnten sie umso mehr eigene Nachkommen durchbringen, je weniger sie sich an den sonstigen sozialen Aufgaben beteiligen.
Wird das Futter gemeinschaftlich beschafft, könnten Arbeiterinnen umso mehr eigene Nachkommen haben, je mehr sie sich aus der gemeinschaftlichen Nahrungssuche heraushalten.
Ein ausufernder Egoismus könnte dagegen vermieden werden, wenn jeder Arbeiterin eine nach oben hin beschränkte Zahl an eigenen Nachkommen zugestanden würde. Allerdings dürften Ameisen nicht über die Mittel verfügen, um eine solche Policy im ganzen

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