Evolution, Zivilisation und Verschwendung
wird, und die zu asymmetrischen Verwandtschaftsbeziehungen führt:
Männchen sind haploid (sie besitzen nur einen Chromosomensatz). Sieht man einmal von möglichen Mutationen ab, so kann ein Männchen nur Spermien mit untereinander identischen Gensätzen erzeugen. Da die Männchen aus unbefruchteten (haploiden) Eiern hervorgehen (Jungfernzeugung, Parthenogenese), können sie nur Gene ihrer Mutter weitergeben.
Weibchen sind diploid (sie besitzen einen doppelten Chromosomensatz). Ein haploider und parthenogenetisch gezeugter Sohn erhält folglich 50 Prozent der Gene seiner Mutter, weswegen er mit r=0,5 mit ihr verwandt ist.
In einem Ameisenbau leben eine oder mehrere
Königinnen
und 100.000 bis fünf Millionen
Arbeiterinnen
. Es gibt aber auch Ameisenarten, deren Kolonien nur aus ein paar Dutzend Arbeiterinnen bestehen. Besitzt ein Ameisenbau nur eine Königin, dann haben alle Arbeiterinnen die gleiche Mutter. In diesem Falle sind sie alle Geschwister. In der Regel legen nur die Königinnen Eier (Ausnahmen: siehe weiter unten).
Die Hauptmasse eines Ameisenstaates wird durch
unfruchtbare Arbeiterinnen
gebildet. Diese erledigen arbeitsteilig alle Aufgaben im Nest, von der Aufzucht der Brut über Jagd und Verteidigung bis hin zum Nestbau.Es existiert keine Hierarchie. Keine Ameise kann einer anderen Ameise Befehle erteilen.
Die Arbeiterinnen sind theoretisch in der Lage Eier zu legen. Allerdings ist ihr Eierstock nicht so stark entwickelt wie bei einer Königin. Bei manchen Arten haben die Arbeiterinnen überhaupt keine Ovarien. Mitunter wird die Eiablage der einzelnen Arbeiterinnen mit einem Botenstoff der Königin unterdrückt. Bei anderen Arten fressen Arbeiterinnen die von ihren Schwestern gelegten Eier (siehe Begründung weiter unten).
Weibchen (in aller Regel unfruchtbare Arbeiterinnen) entstehen aus befruchteten Eiern der Königinnen. Sie erhalten jeweils einen Gensatz von ihrer Mutter und von ihrem Vater. Sie sind folglich mit r=0,5 mit ihrer Mutter verwandt.
Mit ihren Schwestern haben Ameisenweibchen den Gensatz ihres Vaters gemeinsam (haploider Vater), das sind 50 Prozent ihrer Gene. Zusätzlich haben sie durchschnittlich den halben mütterlichen Gensatz gemeinsam (diploide Mutter). Mit ihren Schwestern sind Ameisenweibchen folglich mit r=0,75 verwandt, das heißt mehr als mit den eigenen Söhnen und Töchtern.
Die Konsequenz daraus ist, dass ein Weibchen mehr Kopien seiner eigenen Gene in die nächste Generation bringen kann, wenn es seiner Mutter hilft, weitere Schwestern mit r=0,75 zu zeugen und zu nähren, als wenn es in gleicher Zahl eigene Töchter mit nur r=0,5 aufziehen würde. Gemäß der Theorie der Verwandtenselektion sollten sich unter diesen Umständen Gene, die ihre Trägerinnen altruistisch verhalten lassen, durchsetzen. Und genau das ist bei sozialen Insekten wie Ameisen zu beobachten.
Das Bild ändert sich allerdings, wenn man Söhne statt Töchter betrachtet. Der genetische Verwandtschaftsgrad zu ihren eigenen Söhnen beträgt für Ameisenweibchen r=0,5 (Begründung: siehe oben). Der Verwandtschaftsgrad zu den Söhnen ihrer Mutterkönigin – ihren Brüdern – beträgt aber nur r=0,25 (Weibchen haben nur 50 Prozent ihrer Gene von ihrer Mutter, und diese 50 Prozent wiederum bestehen nur aus dem halben Gensatz der Mutter). Für eine Arbeiterin sind Söhne folglich doppelt soviel wert wie Brüder, weil Söhne doppelt so gut dafür geeignet sind, die Gene der Arbeiterin weiterzugeben. Gemäß der Theorie der Verwandtenselektion sollten Arbeiterinnen deshalb verstärkt daran interessiert sein, Männchen aus ihren eigenen unbefruchteten Eiern zu produzieren. Das Bild ändert sich allerdings noch einmal, wenn man den Verwandtschaftsgrad von Arbeiterinnen zu ihren Neffen, das heißt den Söhnen von anderen Arbeiterinnen, betrachtet. Es zeigt sich nämlich dann, dass Arbeiterinnen zwar einen höheren Verwandtschaftsgrad zu ihren Söhnen (r=0,5) als zu ihren Brüdern (r=0,25) besitzen, aber sie sind mit ihren Brüdern enger verwandt als mit den Söhnen anderer Arbeiterinnen. Gemäß der Theorie der Verwandtenselektion sollten sich die Arbeiterinnen unter diesen Umständen gegenseitig an der Fortpflanzung hindern. Genau dieses Phänomen ist aber bei sozialen Insekten unter dem Begriff „policing“ bekannt.
Die Theorie der Verwandtenselektion kann sicherlich viele Aspekte des Gemeinschaftsverhaltens sozialer Insektenarten recht gut erklären, allerdings zeigen einige Arten auch Verhaltensmuster, die
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