Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Prestigeverlust eines anderen. Es handelt sich hier, anders gesagt, um ein Gruppen-Nullsummenspiel.
Wissenschaftler erkennen immer deutlicher, dass sich viele der altruistischen Handlungen, die bei Tieren beobachtet werden, nicht durch die Theorien der Verwandtenselektion und des reziproken Altruismus erklären lassen. (…) Und wenn man akzeptiert, dass altruistische Handlungen jenen, die sie ausführen, einen Statusgewinn bringen, braucht man keine weitere Erklärung für den Altruismus. Der Begriff der „indirekten Gegenseitigkeit“ – bei dem es um einen Prestigegewinn geht – macht die Theorien der Verwandtenselektion und des reziproken Altruismus überflüssig.
Es braucht nicht gesagt zu werden, dass eine Gruppe, deren Mitglieder um Prestige wetteifern, indem sie Altruismus demonstrieren, im Wettbewerb gegen andere Verbände erfolgreicher ist als eine, deren Mitglieder nach Prestige streben, indem sie Rangtiefere schikanieren oder ihre Energien auf verschwenderisches Imponiergehabe vergeuden. Aber man darf nicht vergessen, dass der Beweggrund für den Einzelnen nicht der Nutzen der Gruppe ist, sondern die Verbesserung des eigenen Prestiges,der Nutzen für die Gruppe ist ein Nebeneffekt. Wenn die Einzeltiere aus dem, was sie zum Wohl der Gruppe tun, nicht auf diese Weise unmittelbar Nutzen ziehen könnten, hätte die Entwicklung des Altruismus keine stabile Grundlage 141 . (…)
Man kann altruistische Handlungen sogar als versteckte Drohungen oder als Ersatz für Drohungen sehen, weil das durch „selbstloses“ Handeln erworbene Prestige es dem Altruisten ermöglicht, etwas zu erreichen, was andere Tiere durch Drohungen gewinnen.
Altruismus wird häufig öffentlich bekundet, was die bisherigen Ausführungen weiter untermauert. Auch treten dabei die hinter den Handlungen zu vermutenden egoistischen Ziele besonders deutlich zu Tage (Voland 2007: 140ff.).
Beispiel 4 (Sankt Martin):
Um das Jahr 338 war Martin als Soldat der Reiterei der Kaiserlichen Garde in Amiens stationiert. An einem Tag im Winter begegnete er am Stadttor von Amiens einem armen, unbekleideten Mann. Außer seinen Waffen und seinem Militärmantel trug Martin nichts bei sich. In einer barmherzigen Tat teilte er seinen Mantel mit dem Schwert und gab eine Hälfte dem Armen.
Wir wissen von diesem Ereignis heute nur, weil Sankt Martin offenbar schon damals den Wert guter Öffentlichkeitsarbeit zu schätzen wusste.
Beispiel 5:
Ein Unternehmen kündigt in einer Presseerklärung an, 10 Millionen Euro für die Tsunami-Opfer im indischen Ozean zu spenden.
Altruismus und Kooperation harmonieren besonders gut mit der Gefallenwollen-Kommunikation, die sich – wie noch gezeigt wird – im Laufe des Prozesses der Zivilisation immer stärker durchgesetzt hat, so dass auch entsprechende Verhaltensweisen an Bedeutung gewannen.
Spieltheoretische Begründungen für das Entstehen von Kooperation oder Altruismus betrachten meist nur die direkte Interaktion zwischen Kommunikationspartnern. Oft geht es aber in diesem Zusammenhang – und sei es nur ganz unbewusst – um eine generelle Verbesserung des „Ansehens“, das heißt darum, Dritten zu „gefallen“. Amotz und Avishag Zahavi sprechen deshalb auch von einer „indirekten Gegenseitigkeit“.
Beispiel 6:
Eine etwas verwirrte ältere Dame sucht in einem größeren Gebäude eine Arztpraxis, findet sich aber überhaupt nicht zurecht. Ein jüngerer Mann bietet ihr an, sie dorthin zu geleiten. Im Fahrstuhl kommt er ins Gespräch mit einer jüngeren Frau, der sein Verhalten imponiert hat.
Vorleistungen – scheinbarer Altruismus also – gehören heute zu den selbstverständlichen Grundlagen einer erfolgreichen Geschäftstätigkeit. Beispielsweise lädt ein Warenhaus potenzielle Kunden dazu ein, die wohlig warmen Verkaufsräume zu betreten, in den Auslagen zu stöbern, kostenlos die Toilette zu benutzen oder in einer angenehmen Umgebung eine Tasse Kaffee zu trinken. Der Kunde soll sich zunächst wohlfühlen und das Ambiente genießen, denn man möchte gefallen. Auch wenn der Gast nicht gleich beim ersten Mal etwas kauft, so wird er dies vielleicht bei seinem nächsten Besuch tun.
Haben sich kooperatives und altruistisches Verhalten in einer Population insgesamt als vorteilhaft erwiesen, dann kann rücksichtsloses und übertriebenes egoistisches Verhalten durch Normen (Rollenvorgaben) und Sanktionen sehr weit zurückgedrängt werden. Es dürfte dann auch für nachbarliche egoistische Gruppen kaum mehr
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