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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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als sie überleben und Nachkommen haben. Seine Kinder werden seine selbstsüchtigen Merkmale mit einiger Wahrscheinlichkeit erben. Nach mehreren Generationen dieser natürlichen Auslese wird die „altruistische Gruppe“ von egoistischen Individuen wimmeln und von einer egoistischen Gruppe nicht zu unterscheiden sein. Selbst wenn wir die unwahrscheinliche Möglichkeit ins Auge fassen, dass ursprünglich zufällig rein uneigennützige Gruppen ohne irgendwelche Rebellen bestanden, so ist schwer einzusehen, was egoistische Individuen aus benachbarten egoistischen Gruppen daran hindern sollte, einzuwandern und der Reinheit der altruistischen Gruppen durch Einheirat ein Ende zu setzen.
    Zu den altruistischen Verhaltensweisen gelten die in menschlichen Populationen meist von Männern übernommenen Schutzfunktionen und die überwiegend von Frauen (beziehungsweise bei den Tieren von den Weibchen) erbrachten Investitionen in den Nachwuchs (Dawkins 2007: 43):
    Sein Leben für das Leben seiner Freunde hinzugeben, ist offensichtlich altruistisch, aber ebenso selbstlos ist es, ein leichtes Risiko einzugehen. Viele kleine Vögel geben, sobald sie einen fliegenden Räuber, beispielsweise einen Falken, entdecken, einen charakteristischen Alarmruf von sich, worauf der gesamte Schwarm die Flucht ergreift. Es liegen indirekte Beweise dafür vor, dass der Vogel, der den Alarmruf ausstößt, sich selbst in besondere Gefahr bringt, da er die Aufmerksamkeit des Räubers vor allem auf sich lenkt. Dies ist lediglich ein geringes zusätzliches Risiko, nichtsdestoweniger scheint es den Alarmruf, wenigstens auf den ersten Blick, als eine unserer Definition entsprechend altruistische Handlung zu qualifizieren.
    Die häufigsten und auffälligsten Handlungen tierischer Selbstlosigkeit werden von Eltern, insbesondere Müttern, gegenüber ihren Jungen erbracht. Sie brüten den Nachwuchs aus, entweder in Nestern oder in ihren eigenen Körpern, füttern ihn unter enormen Opfern und nehmen große Gefahren auf sich, um ihn vor Räubern zu schützen.
    Eine übliche soziobiologische Erklärung für solche Phänomene ist: Mütter sind genetisch mit ihren Jungen verwandt. Aus einer genzentrischen Sicht macht es deshalb für sie Sinn, sich für ihre Nachkommen einzusetzen und gegebenenfalls sogar für sie das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.
    Entsprechend wird ein warnender männlicher oder weiblicher Vogel nicht nur seinen Schwarm insgesamt schützen wollen, sondern vor allem seine eigenen Nachkommen und andere enge Verwandte, das heißt, sein eigenes Erbgut, wofür einige Studien sogar empirische Belege gefunden haben wollen 137 .
    Auf ganz ähnliche Weise argumentiert die sogenannte Verwandtenselektion (kin selection, Sippenselektion), bei der es sich um eine Erweiterung der natürlichen Selektion handelt, und die im Rahmen der GesamtfitnessTheorie (inclusive fitness) die Entstehung von kooperativem und altruistischem Verhalten erklären soll. Wenn Tiere Verwandten dabei helfen, ihre Jungen aufzuziehen, sorgen sie dafür, dass ihr eigenes Erbgut weiterverbreitet wird. Das Ausmaß an altruistischem Verhalten richtet sich nach dem Grad der Verwandtschaft. Je enger Tiere miteinander verwandt sind, desto höher ist die Chance, durch Verwandtenhilfe eigene Gene in die nächsteGeneration weiterzugeben und desto häufiger ist altruistisches Verhalten anzutreffen. Die Theorie der Verwandtenselektion wurde von John Maynard Smith und William D. Hamilton entwickelt. Sie etablierte sich innerhalb der Biologie unter anderem auch deshalb, weil sie sich mit Erfolg zur Erklärung vieler natürlicher Sozialsysteme heranziehen ließ. Im Wesentlichen besagt sie, dass Altruismus und Sozialverhalten vor allem zwischen genealogisch eng verwandten Individuen auftreten wird, das heißt zwischen Individuen, die aufgrund ihrer Abstammung von gemeinsamen Eltern oder nahen Vorfahren wesentliche Anteile ihres Genbestands gemeinsam haben. Dies konnte insbesondere bei sozialen Insekten nachgewiesen werden, wie am Beispiel der Ameise verdeutlicht werden soll.
    Von den 750.000 bekannten Insektenspezies sind 13.500 Spezies staatenbildend; 9.500 davon sind Ameisen, der Rest teilt sich auf in Termiten und soziale Bienen und Wespen. Die staatenbildenden 2 Prozent aller Insektenspezies machen immerhin 50 Prozent der Biomasse aller Insekten aus.
    Bei den meisten sozialen Insektenarten (unter anderem den Ameisen) tritt eine Eigenheit des genetischen Systems auf, die haplo-diploidisch genannt

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