Evolution, Zivilisation und Verschwendung
einem (energetisch und materiell) abgeschlossenen, energiehaltigen System fortlaufend abnimmt, wenn irgendwelche Vorgänge im System ablaufen. Anders gesagt: Exergie wird dann fortlaufend in Anergie umgewandelt. Auf diese Weise geht das System zunehmend von einem geordneten in einen ungeordneten Zustand über, das heißt, die Entropie des Systems nimmt immer weiter zu. Es handelt sich hierbei um einen irreversiblen Prozess. Die Kernaussage des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik ist: Jeder reale Prozess kann in einem abgeschlossenen, energiehaltigen System nur in einer Richtung fortschreiten, bei der sich die Entropie des Systems erhöht.
Nun liegt aber bei dem weiter oben beschriebenen Bénard-Experiment kein abgeschlossenes System vor, sondern die Versuchsanordnung bestand ja gerade darin, dem Gefäß von unten Wärme zuzuführen und gleichzeitig seine Oberseite abzukühlen. Wir haben es hier also mit einem Problem der Nichtgleichgewichtsthermodynamik zu tun. Die Energiedifferenz zwischen den beiden Gefäßhälften wird in diesem Zusammenhang als Wärme- beziehungsweise allgemeiner als Energiegradient bezeichnet.
Besteht etwa an einem auf Meereshöhe liegenden Ort ein Luftdruck von 1.030 Hektopascal (mbar) und an einem anderen, gleichfalls auf Meereshöhe befindlichen Ort zur selben Zeit ein Luftdruck von 970 Hektopascal, dann bezeichnet man die Druckdifferenz (60 Hektopascal), dividiert durch die Distanz zwischen beiden Orten, als den Druckgradienten. Unter den genannten Verhältnissen wird dann ein Wind, dessen Stärke von der Höhe des Druckgradienten abhängt, vom Hochdruckgebiet zum Tiefdruckgebiet fließen, um auf diese Weise einen Luftdruckausgleich zwischen beiden Orten zu bewirken.
Zur Erklärung des Bénard-Effektes und generell der Entstehung dissipativer Strukturen wurde die folgende Verallgemeinerung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik vorgeschlagen, die auch für Nichtgleichgewichtssysteme gelten würde (Schneider/Kay 1997: 188):
Sobald man Systeme aus dem Gleichgewicht bringt, benutzen sie alle verfügbaren Wege, um den angelegten Gradienten entgegenzuwirken. Wenn diese zunehmen, nimmt auch die Fähigkeit des Systems zu, sich einer weiteren Entfernung vom Gleichgewichtszustand zu widersetzen.
Der Grundgedanke dabei ist, dass ein System gegen die Entfernung aus dem Gleichgewicht Widerstand leistet. Das Maß, in dem ein System vom Gleichgewichtszustand entfernt wurde, wird anhand der Gradienten (siehe das obige Beispiel aus der Meteorologie) abgeschätzt, die an das System angelegt wurden.
Gemäß dieser Vorstellung soll sich der Widerstand des Systems, aus dem thermodynamischen Gleichgewicht gebracht zu werden, insbesondere in der Fähigkeit zur Herausbildung selbstorganisierender Vorgänge (und damit dissipativer Strukturen) ausdrücken (Schneider/Kay 1997: 188):
Thermodynamische Systeme im Temperatur-, Druck- und chemischen Gleichgewicht leisten einer Entfernung vom Gleichgewichtszustand Widerstand. Wenn die Systeme aus ihrem Gleichgewichtszustand entfernt werden, verändern sie ihren Zustand auf eine Weise, dass sie sich dem angelegten Gradienten entgegenstellen und versuchen, sich zum Gleichgewicht als Anziehungspunkt zurückzubewegen. Je stärker der angelegte Gradient, desto größer ist die Anziehungskraft des Gleichgewichtszustandes auf das System. Je weiter ein System vom Gleichgewicht entfernt wurde, desto ausgefeilter sind seine Mechanismen, um der Entfernung aus dem Gleichgewicht Widerstand zu leisten. Wenn es die dynamischen und/oder kinetischen Bedingungen zulassen, treten selbstorganisierende Vorgänge auf, die den Gradientenausgleich begünstigen. (…) So ist das Auftreten kohärenter selbstorganisierender Strukturen nicht länger eine Überraschung, sondern vielmehr eine zu erwartende Antwort eines Systems, denn es versucht, von außen angelegten Gradienten, die das System aus den Gleichgewicht entfernen würden, Widerstand entgegenzusetzenund sie auszugleichen. Folglich haben wir es bei der Bildung dissipativer Strukturen mit Ordnung, die aus Unordnung entsteht, zu tun.
Um das Problem der Bildung von Ordnung aus Unordnung bei der Entstehung und Evolution des Lebens ging es aber auch schon Ernst Schrödinger (Schrödinger 1989: 138f.) in dessen Buch
Was ist Leben?
. Einige Wissenschaftler sind nun der Auffassung, die sich unter bestimmten Verhältnissen im thermodynamischen Ungleichgewicht herausbildenden dissipativen Strukturen lieferten die Antwort auf das genannte
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