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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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Beschränkte man sich bei der Lebewesendefinition stattdessen auf die Fortpflanzungsfähigkeit, wäre etwa ein biologisch unfruchtbares Individuum kein Lebewesen. Dies entspräche jedoch nicht den üblichen Vorstellungen vom Leben.
    Strenggenommen schließt das Kriterium
Fähigkeit zur Selbstreproduktion
die Hälfte aller Individuen getrenntgeschlechtlicher Populationen – nämlich die Männchen – von vornherein vom Status des Lebendigen aus, denn üblicherweise sind in solchen Populationen nur die Weibchen fortpflanzungsfähig, manchmal – bei Jungfernzeugung – sogar ganz ohne Beteiligung eines Männchens. Und wenn man es noch genauer nimmt, dann besitzt in echten getrenntgeschlechtlichen Populationen (in denen die Parthenogenese als Behelfsmöglichkeit nicht zur Verfügung steht) kein einziges Individuum für sich allein die Fähigkeit zur Fortpflanzung.
    In dem im Absatz
Was ist Leben?
auf Seite → vorgestellten Ansatz zur Charakterisierung lebender Systeme wird das Kriterium
Fähigkeit zur Selbstreproduktion
durch das allgemeinere Kriterium
Reproduktionsinteresse
ersetzt: Lebewesen „wollen“ sich fortpflanzen (gegebenenfalls indirekt, zum Beispiel im Rahmen der Verwandtenselektion). Ein Reproduktionsinteresse besitzen aber sowohl Männchen wie Weibchen. Bei den Männchen ist dies oftmals sogar deutlich stärker ausgeprägt als beim anderen Geschlecht.
    Ein Hurrikan ist also kein Lebewesen, denn ihm fehlt allein schon die Fortpflanzung.
    Die meisten Lebewesen pflanzen sich geschlechtlich fort. Bei getrenntgeschlechtlichen Spezies sieht das wie folgt aus: Die Individuen einer Population untergliedern sich in zwei Geschlechter – Männchen und Weibchen –, die gelegentlich Sex miteinander haben. Nach einer Paarung kann (üblicherweise) das Weibchen schwanger werden, woraufhin es nach einer mehr oder weniger langen Zeit – und zwischen den verschiedenen Arten auf sehr unterschiedliche Weise – Nachwuchs austrägt. In der Soziobiologie bezeichnet man den Nachwuchs auch als
Reproduktionserfolg
.
    Seit der Erfindung der Pille und anderer sicherer Kontrazeptiva haben Menschen jedoch in erster Linie Sex, um Spaß miteinander zu haben, nicht aber um Kinder zu zeugen.
Paarungserfolg
und
Reproduktionserfolg
sind deshalb zu unterscheiden. Hatte ein Mann in seinem Leben viele Sexualpartnerinnen und häufigen Sex, dann war sein Paarungserfolg entsprechend groß. Entstanden aus diesen sexuellen Vereinigungen aber keine oder nur sehr wenige Kinder, dann hatte er nur einen geringen Reproduktionserfolg. Die Unterscheidung zwischen Paarungs- und Reproduktionserfolg wird im Laufe des Buches noch eine wesentliche Rolle spielen.
    Die Biologie teilt Lebewesen unter anderem in
Arten
beziehungsweise
Spezies
ein; unsere Art ist der
Mensch
. Eine
Population
stellt demgegenüber eine Gruppe von
Individuen
(
Phänotypen
) der gleichen Art dar, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden und in einem einheitlichen Verbreitungsgebiet leben. Auch wenn es beim Menschen praktisch keine abgeschlossenen Populationen mehr gibt, könnte man in diesem Sinne dennoch grob vereinfacht sagen: Der Mensch ist eine biologische Art, die deutsche Bevölkerung dagegen eine menschliche Population, der einzelne Deutsche ein Individuum.
    Während ein einzelnes Individuum im Glücksfall vielleicht hundert oder auch etwas mehr Jahre alt werden kann, können Arten und Populationen viele Millionen oder im Extremfall gar einige Milliarden Jahre existieren.
    Damit das geschehen kann, sind allerdings zwei Dinge erforderlich: Die Population muss sich stets
ausreichend fortpflanzen und
an die sich ständig verändernde Umwelt (an das Milieu) rechtzeitig und angemessen anpassen.
    Doch was ist nun eine ausreichende Fortpflanzung? Demographen verwenden dazu den Begriff der Fertilitätsrate; dies ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau. Damit die deutsche Bevölkerung auf Dauer ungefähr gleich groß bleibt, müsste sie eine Fertilitätsrate von 2,1 haben (einige Kinder sterben vor dem Erwachsenenalter oder sind unfruchtbar, deshalb benötigt man etwas mehr als zwei). Seit vielen Jahren hat Deutschland aber nur eine Fertilitätsrate von weniger als 1,4. Würde diese Zahl die nächsten 1.000 Jahre unverändert bleiben und würden stets etwa genauso viele Menschen zu- wie abwandern, dann lebten im Jahr 3000 in Deutschland nur noch 128 Menschen. Würde die deutsche Fertilitätsrate dagegen die nächsten 1.000 Jahre konstant bei 2,3 liegen, dann gäbe es im Jahr

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