Evolution, Zivilisation und Verschwendung
folglich nicht ausreichend an die nächste Generation weitergegeben. Bekommt er zu wenige Jungen, nutzt er sein Fortpflanzungspotenzial nicht aus, und das Ergebnis wäre ebenfalls suboptimal. (Dawkins 2007: 216). Grundsätzlich gilt aber unter solchen Verhältnissen: Wer in einem bestimmten Zeitfenster mehr Nahrung beschafft (bei der Nahrungssuche effizienter ist; besser an den Lebensraum angepasst ist), kann in der verbliebenen Zeit eine größere Zahl an Nachkommen aufziehen. Exakt so lautet ja auch das Prinzip der natürlichen Auslese der biologischen Evolutionstheorie.
Moderne, arbeitsteilig organisierte menschliche Gesellschaften kennen aber einen entsprechenden Effizienzbegriff nicht. Wer über besondere Kompetenzen verfügt und bestimmte komplexe Aufgabenstellungen ganz besonders schnell und präzise erledigen kann, der wird in der Folge nicht weniger, sondern mehr arbeiten, denn seine Kompetenzen sind nun besonders gefragt. Arbeitsteilung heißt Spezialisierung, und Spezialisierung setzt spezifische Kompetenzen voraus, die üblicherweise in langwierigen Ausbildungsprozessen erworben werden müssen. Selbstverständlich besteht dann ein erhöhtes Interesse daran, solche Kompetenzen auch einzusetzen und weiterzuentwickeln. Die Fähigkeit etwa, ein bestimmtes Computerprogramm in einer vergleichsweise kurzen Zeit fehlerfrei schreiben zu können, bedeutet in modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften keineswegs, dass man deshalb zwei Stunden früher nach Hause gehen kann. Im Gegenteil: Nun wird ein solcher Mitarbeiter noch mehr gefordert werden, während sich das Unternehmen gegebenenfalls von anderen, weniger effizienten Arbeitnehmern trennt.
Aus diesem System kann auch nicht leicht ausgestiegen werden, zumal es international völlig einheitlich implementiert ist. Wer es dennoch versucht, der dürfte sich schon bald mit einer weniger qualifizierten und dann auch schlechter bezahlten Tätigkeit zufriedengeben müssen.
Soziale Systeme differenzieren sich mit zunehmender Komplexität immer weiter aus (siehe Abschnitt
Soziale Evolution (Sozialer Wandel)
auf Seite → ). Im Unternehmensbereich führt das unter anderem zu einer stärkeren Untergliederung der Organisation in Dominanzhierarchien (Leitungsebenen). Sozialer Erfolg, der mit einem erleichterten Zugang zu Ressourcen undbei Männern auch zu Sexualpartnerinnen verbunden ist, ist dann ganz häufig gleichzusetzen mit dem Erreichen einer entsprechend hohen Position in der Dominanzhierarchie eines sozialen Systems, zum Beispiel eines namhaften Unternehmens. Dazu ist dann aber wiederum ein besonders starkes persönliches Engagement erforderlich, das heißt, das Einbringen umfangreicher zeitlicher Ressourcen, die dann für andere soziale Aufgaben – zum Beispiel Familienarbeit – nicht mehr zur Verfügung stehen. Letztlich ist das eine zwangsläufige Konsequenz unserer modernen arbeitsteiligen Wirtschaftsweise.
Und genau hier kommt nun das Problem der weiblichen Emanzipation ins Spiel: Wenn sowohl die berufliche Karriere als auch die Familienarbeit mit hohen zeitlichen Aufwänden (und damit mit hohen Opportunitätskosten) verbunden sind, und beide Geschlechter beide Aufgaben anteilsmäßig gleich erfüllen sollen, dann wird eine bessere Ausbildung und darauf aufbauend eine größere berufliche Verantwortung im statistischen Mittel immer mit einer Reduzierung der für Familienarbeit zur Verfügung stehenden Zeit einhergehen. Daran werden Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nichts Entscheidendes ändern können.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Mit steigender Kinderzahl – das heißt, mit steigenden zeitlichen Aufwänden für die Familienarbeit – verbleibt den Eltern immer weniger Zeit für Beruf und Karriere, was zu folgendem, in patriarchalischen Gesellschaften nicht bekannten Dilemma führt (siehe Abschnitt
Gründe für den demographischen Wandel
auf Seite 320):
Mit zunehmender Kinderzahl steigen die Ausgaben für die Familie, während gleichzeitig ihre Einkünfte sinken.
Und schließlich ist auch noch der Sozialstaat zu berücksichtigen, dessen Wirkungen Richard Dawkins in Bezug auf die natürliche Selektion mit den folgenden Worten zusammenfasst (Dawkins 2007: 209f.):
Nun ist, was den modernen, zivilisierten Menschen betrifft, folgendes geschehen: Die Größe der Familie ist nicht mehr durch die begrenzten Mittel beschränkt, die die einzelnen Eltern aufbringen können. Wenn ein Mann und seine Frau mehr Kinder
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